Auf der Scope Investement Conference für Institutionelle Immobilieninvestments gab Prof. Hans-Werner Sinn den Teilnehmern einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der europäischen Schuldenkrise. Neben seinem aktuellen Lieblingsthema - den Target-2-Salden der Notenbanken - fokussierte sich Sinn auf die immensen Probleme und Herausforderungen Griechenlands. Er analysierte dabei auch die Auswirkugnen eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone.
Prof. Sinn, die Einführung des Euros ging mit großen Erwartungen einher. Warum steckt Europa nun derart tief in der Krise?
Sinn: Kern des Problems sind die enormen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone. Die südeuropäischen Länder haben in den vergangenen zehn Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Sie haben ihre staatlichen Sektoren zu stark aufgebläht, zu viele Schulden gemacht und gleichzeitig zu viele Güter importiert. Insbesondere gegenüber Deutschland sind in der Folge viel zu hohe Leistungsbilanzdefizite entstanden. Besonders heikel ist außerdem, dass die Leistungsbilanzdefizite der Südländer zunehmend durch die Notenpresse finanziert werden.
Wie konnten solche Ungleichgewichte entstehen?
Sinn: Eine Schlüsselrolle spielen die Zinsen. Die Länder im Süden der europäischen Peripherie mussten früher deutlich höhrere Zinsen zahlen als beispielweise Deutschland. Der Grund war die in den Augen der Investoren deutlich schlechtere Bonität dieser Staaten. Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung änderte sich dies jedoch schlagartig. Das Zinsniveau in Europa konvergierte. Das heißt, die Länder im Süden Europas mussten nur noch geringfügig mehr Zinsen als Deutschland zahlen. Die Folge war ein kreditfinanzierter Wirtschaftsboom - vor allem in Spanien, Griechenland, Portugal, Italien und auch Irland.
… das klingt zunächst nach einer Erfolgsstory!
Sinn: Ja, die Betonung liegt aber auf zunächst. Denn im Zuge dieses Booms stieg das Lohn- und Preisniveau dieser Länder deutlich. Italien beispielsweise hat sich gegenüber Deutschland seit 1995 um über 50 Prozent verteuert. Die Folgen liegen auf der Hand. Mit ihren nun vergleichsweisen teuren Produkten sind die Volkswirtschaften im Süden Europas nicht mehr wettbewerbsfähig. Vor Einführung des Euros haben diese Länder ihre Währungen stets abgewertet und konnten auf diese Weise ihre Produkte konkurrenzfähig halten. Dieser Weg ist durch die gemeinsame Währung nun jedoch versperrt.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Deutschland?
Sinn: In Deutschland erlebten wir nach Einführung der Einheitswährung eine gegensätzliche Entwicklung. Vor der Krise floss viel Kapital ab. Die Folge war das zeitweilig niedrigste Wirtschaftswachstum der Eurozone. Das Lohn- und Preisniveau stagnierte hierzulande nahezu. Nach der Krise ist alles anders. Das Kapital traut sich nicht mehr aus Deutschland heraus. Es bleibt im sicheren Heimathafen und geht in das Betongold und andere inländische Investitionen. Auch werden die Zinsen nach unten gedrückt. Das heizt den Investitionsboom noch mehr an. Deutschland geht es daher grundsätzlich gut – allerdings nicht trotz, sondern wegen der Krise.
Welche Möglichkeiten zur Lösung der Schuldenkrise in Griechenland sehen Sie?
Sinn: Im Prinzip gibt es nur drei Möglichkeiten. Erstens: Wir machen weiter wie bisher und finanzieren das griechische Leistungsbilanzdefizit mit öffentlichen Krediten. Zu welchem Zeitpunkt wir beginnen, diese Kredite Geschenke zu nennen, ist dabei egal. De facto sind sie bereits heute Geschenke. Eine Fortsetzung dieser Politik wäre insbesondere für Deutschland eine Katastrophe. Denn warum sollten andere Nationen wie Portugal oder Irland weiterhin sparen, während es sich Griechenland mit dauerhaften Transferzahlungen einrichtet. Im Endeffekt müsste der deutsche Steuerzahler für alles aufkommen. Die zweite Möglichkeit ist der Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
… mit welchen Konsequenzen?
Sinn: Vor allem für die griechischen Banken wäre diese Lösung eine Katastrophe. Man müsste die Banken dann rekapitalisieren. Vereinzelt kämen auch einige französische Banken in Schwierigkeiten. Der Vorteil dieser Lösung wäre jedoch, dass die Griechen ihre Währung abwerten und so wieder wettbewerbsfähig werden könnten. Um beispielsweise mit der Türkei zu konkurrieren, müssten die Griechen rund 30 Prozent abwerten.
Und die dritte Möglichkeit?
Sinn: Die Abwertung muss nicht zwingend über den Wechselkurs erfolgen. Die Griechen könnten alternativ auch real abwerten. Das heißt, die Preise und Löhne in Griechenland müssten deutlich sinken. Dann wäre auch die griechische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig. Eine reale Abwertung ist jedoch mit erheblichen politischen Widerständen und sozialen Spannungen konfrontiert. Außerdem kommen die Bilanzen der Realwirtschaft in Unordnung, weil die Bankschulden bleiben, während die Werte der Aktiva in den Keller gehen. Eine Abwertung im Euroraum in dem erforderlichen Umfang würde zum Chaos führen. Also gibt es keine Möglichkeit, Griechenland im Euroraum wettbewerbsfähig zu machen.
Welches Szenario halten Sie für das wahrscheinlichste?
Sinn: Alle drei Szenarien sind mit schmerzhaften Konsequenzen verbunden. Dennoch halte ich den Austritt Griechenlands aus der Eurozone für das bei weitem glimpflichste Szenarium.
Die Europäer haben Griechenland jüngst einen 130 Milliarden Kredit gegeben. Was halten Sie von den aktuellen Rettungsbemühungen?
Sinn: Wir sollten uns dessen bewusst sein, was das Resultat dieser Rettungsbestrebungen ist. Wir halten mit den nun fließenden öffentlichen Krediten das Preisniveau griechischer Vermögenswerte und Löhne künstlich hoch. Dies hält potenzielle Investoren fern. Notwendige Anpassungsmaßnahmen werden dadurch nur verzögert.
Kann Griechenland seine Probleme durch eine Wachstumsstrategie lösen?
Sinn: Nein. Das ist ein häufiges Missverständnis. Man kann durch Wachstum seine Außenhandelssituation nicht verbessern, sondern nur verschlimmern. Wenn die Wirtschaft wächst, nehmen die Importe zu. Damit wachsen die Leistungsbilanzdefizite weiter. Die bittere Wahrheit ist: Aus Außenhandelsdefiziten kann man nur herausschrumpfen. Diese Schrumpfung muss solange anhalten, bis die Importe geringer sind als die Exporte.