Was der Ökonom Hans-Werner Sinn über die Griechenland-Krise sagt – und welche Folgen ein „Grexit“ hätte.
AZ: Herr Professor Sinn, Sie haben schon seit Beginn der Griechenland-Krise für einen – zumindest zeitweisen – Austritt des Landes aus dem Euro und für die Rückkehr zur Drachme plädiert. Welches wären die ökonomischen Folgen für die Euro-Gruppe?
HANS-WERNER SINN: Es wäre dann klar, dass die Eurozone kein Bundesstaat mit Umverteilungsmaßnahmen zwischen den Staaten ist, sondern ein Zweckbündnis. Wer sagt, dass Griechenland unter allen Umständen im Euro bleiben muss, sagt zugleich, dass er bereit ist, ganz Südeuropa dauerhaft zu finanzieren. Aber das wird teuer, weil dort bald 40 Prozent der Bevölkerung der Eurozone leben. Europa droht in diesem Fall, in einer Schuldenlawine zu ersticken.
Die politischen Ansteckungseffekte, die man befürchten muss, wenn Griechenland mit noch mehr Geld im Euro gehalten wird, können uns alle ruinieren. Ein griechischer Austritt würde diese Gefahr verringern.
Was würde das den deutschen Steuerzahler und der deutschen Wirtschaft kosten?
Für Deutschland bedeutet dies, dass die Zahlungen an Griechenland begrenzt bleiben. Wir hören auf, ein Fass ohne Boden zu füllen und können endlich wieder Güter gegen Güter statt gegen wertlose Schuldscheine nach Griechenland verkaufen.
Und für Griechenland selbst?
Für die Griechen ist es letztlich auch besser, auch wenn sie den Zugang zur Euro-Druckerpresse verlieren. Nach dem Austritt können sie nämlich zur Drachme zurück, die Drachme abwerten und wettbewerbsfähig werden. Das Land wurde durch die inflationäre Kreditblase, die der Euro erzeugte, zu teuer und muss nun wieder billiger werden. Das im Euro zu erreichen, ist kaum möglich, weil die Kreditnehmer in den Konkurs und die Gewerkschaften auf die Straße getrieben werden.
Das ist die Situation, die wir heute haben, mit einer Gesamtarbeitslosigkeit von 26 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent. Das heutige Chaos und die Härten für die Bevölkerung haben zur politischen Radikalisierung geführt.
Sie werfen der EU „Konkursverschleppung“ vor, die es immer mehr reichen Griechen erlaube, ihr Kapital außer Landes zu schaffen.
Ich werfe das der EZB vor, weil sie schon 70 Milliarden Euro Notkredite gewährt hat, für die die griechische Notenbank formal allein haftet, aber nicht haften kann, weil die maximale Haftungssumme nur 42 Milliarden Euro beträgt.
Es ist richtig, dass die privaten Anleger aus dem Ausland sich in den letzten fünf Jahren bereits weitgehend aus dem Staube gemacht haben. Auch viele Griechen haben ihre Vermögen schon außer Landes gebracht. Aber alle haben es noch nicht getan. Die Kapitalflucht hatte allein im Januar und Februar ein Volumen von 42 Milliarden Euro.
Interview: Ralf Müller