Der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, kritisiert das Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB. „Wenn die Zentralbank damit anfängt, gibt es kein Halten mehr“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler im Gespräch mit Antje Schroeder von unserer Berliner Redaktion.
Herr Professor Sinn, der Europäische Gerichtshof verhandelt über das Staatsanleihen-Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) vom September 2012. Teufelszeug oder Rettungsanker?
Sinn: Anleihekäufe sind kein Teufelszeug, aber verboten. Die Zentralbank darf die Staaten nicht finanzieren, das steht in Artikel 123 des EU Vertrages. Wenn die Zentralbank damit anfängt, gibt es kein Halten mehr. Dann kommt es am Ende zu einer Selbstbedienung der Staaten mit der Druckpresse. Das haben wir in Deutschland auch bei der Hyperinflation bis 1923 erlebt.
Hat EZB-Chef Mario Draghi mir der Ankündigung dieses Programms nicht im Alleingang die Eurokrise beruhigt?
Sinn: Ja, trotzdem hat die EZB etwas angekündigt, was sie nicht durfte. Das Versprechen, die Staatspapiere der betroffenen Länder zu kaufen, bevor ein Land Pleite geht, kommt einer kostenlosen Versicherung der Anleger gleich. Wir beklagen, dass in Deutschland nicht genügend investiert wird und subventionieren gleichzeitig den Kapitalfluss nach Südeuropa.
Muss die EZB nicht Maßnahmen ergreifen, um den Märkten das Vertrauen zurückzugeben und einer Deflation vorzubeugen?
Sinn: Das Vertrauen in die Bonität einzelner Staaten darf nicht die EZB herstellen. Das müssen vielmehr die Staaten selbst tun, indem sie eine solide Haushaltspolitik führen. Wenn die EZB das Vertrauen herstellt, brauchen es die Staaten nicht mehr zu tun, und dann neigen sie dazu, sich immer mehr zu verschulden, weil die EZB ihnen die Zinsen senkt. Die Deflationsgefahr ist im Übrigen vorgeschoben. Zurzeit haben wir noch eine Inflation, und der Maastrichter Vertrag verlang von der EZB einer Preissteigerungsrate von Null. Solange die Preise noch steigen, kann man nicht argumentieren, man müsste Maßnahmen ergreifen, damit sie noch schneller steigen.
Wie beurteilen Sie die letzten Beschlüsse der EZB, von Banken sogenannte forderungsbesicherte Wertpapiere selbst schlechter Bonität zu kaufen?
Sinn: Damit überschreitet sie abermals ihr Mandat. Die EZB betreibt eine Rettungspolitik für die Banken Südeuropas, die Kredite an Immobilienfirmen vergeben haben, die jetzt nicht mehr zurückkommen. Wenn man helfen will, müssen das die Parlamente der Eurozone beschließen und nicht der EZB-Rat.
Ist die Eurokrise noch virulent und was müsste man tun, damit sich die Lage stabilisiert?
Sinn: Die Eurokrise schwelt unter den Teppich und ist dabei, sich wieder zu intensivieren. Wir haben seit Sommer eine große Kapitalflucht aus Italien. Das macht die Banker derzeit sehr nervös und zeigt, dass das Verleihen von öffentlichem Geld nicht die Lösung ist. Die Länder Südeuropas müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen, indem sie billiger werden. Wer im Euroraum nicht billiger werden möchte, muss austreten und abwerten. Es wäre schon 2010 richtig gewesen, Griechenland die Option für einen Austritt aus der Währungszone zu geben.
Das Interview führte Antje Schroeder