ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, 63, über die Rolle Deutschlands in der Europäischen Zentralbank (EZB)
SPIEGEL: Die Deutschen haben in der EZB vergangene Woche den wichtigen Posten des Chefvolkswirts verloren. Ist das der endgültige Abschied von hiesigen Stabili-tätsträumen?
Sinn: Dass wir weder den Posten des Präsidenten noch den des Chefvolkswirts besetzen konnten, zeigt nur noch deutlicher, dass Deutschland in der EZB an den Rand gedrängt wird. Es wird seit Mai 2010 bei den wichtigen Entscheidungen regelmäßig überstimmt. All die schönen Sprüche, dass die EZB nach dem Modell der Bundesbank funktionieren würde und Deutschland als größtes Land eine Sonderrolle behalte, erweisen sich als Schall und Rauch.
Was halten Sie generell von der EZB-Spitze unter dem neuen Präsidenten Mario Draghi?
Sie ist personell durchaus vertretbar. Der Belgier Peter Praet ist als Chefvolkswirt sehr gut geeignet, und der Deutsche Jörg Asmussen ist ein guter Diplomat für die Vorbereitung der EU-Aktivitäten der EZB.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann gilt in der EZB als letzter geldpolitischer Hardliner. Kann er mit Schützenhilfe von Asmussen rechnen?
Asmussen wird sich permanent genötigt sehen, weiteren Rettungsprogrammen der Staatengemeinschaft zuzustimmen. Insofern sehe ich schwarz für allzu viel Schüt-zenhilfe.
Der politische Druck auf die EZB wächst, als "Geldgeber letzter Instanz" im großen Stil Anleihen von Krisenstaaten aufzukaufen. Wann knickt Draghi ein?
Statt einzuknicken wird Draghi vermutlich den Druck auf die Staatengemein-schaft erhöhen, die Staatspapiere über den Luxemburger Rettungsfonds ESM zu kaufen. Das ist zwar weniger schlimm, als wenn die EZB kauft, aber schlimm genug, weil Deutschland auch damit zu einem Gläubiger der Südländer wird. Wir sitzen so oder so in der Falle.