ifo-Chef Hans Werner Sinn sieht in der Rückkehr zur Drachme den einzigen Ausweg für Griechenland.
Ein Interview von Ralf Müller.
Der Euro-Austritt Griechenlands ist längst zu einer realistischen Option geworden. Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts, sieht in der Rückkehr Griechenlands zur Drachme den einzigen Weg für das Land, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt er, warum der Euro immer mehr zur Belastung für Athen wird und warum alle Seiten von einem Euro ohne Griechenland profitieren würden.
Herr Professor Sinn, Sie haben schon seit Beginn der Griechenland-Krise für einen - zumindest zeitweisen- Austritt des Landes aus dem Euro und für die Rückkehr zur Drachme plädiert. Wie nahe sind wir inzwischen aus Ihrer Sicht diesem Szenario gekommen?
SDa die griechische Regierung die Troika wieder nach Hause geschickt hat und offen bekundet, dass sie ihre Vereinbarungen vom Februar nicht einhalten will, plant sie nun den Grexit billigend mit ein.
Wir unterscheiden ja inzwischen nach "Grexit" und "Graccident ". Was halten Sie für wahrscheinlich?
Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen diesen beiden Wegen, denn wer der Euro-Mitgliedschaft Griechenlands ein Ende bereiten will, muss sich wegducken und die Dinge geschehen lassen, um die Schuld anschließend der anderen Seite zuweisen zu können. Im Übrigen muss er die Öffentlichkeit emotionalisieren, damit harsche Maßnahmen mitgetragen werden, die die Wahrscheinlichkeit des Graccident vergrößern. Das Verhallen der griechischen Regierung kann man auf diese Weise ganz gut begreifen. Was einige als Unfähigkeit begreifen, könnte in Wahrheit eine bewusste Strategie sein.
Welches wären die ökonomischen Folgen eines Euro-Austritts Griechenlands für die Euro-Gruppe?
Es wäre nun klar, dass die Euro-Zone kein Bundesstaat mit Umverteilungsmaßnahmen zwischen den Staaten ist, sondern ein Zweckbündnis. Wer sagt, dass Griechenland unter allen Umständen im Euro bleiben muss, sagt zugleich, dass er bereit ist, ganz Südeuropa dauerhaft zu finanzieren. Aber das wird teuer, weil dort bald 40 Prozent der Bevölkerung der Euro-Zone leben. Europa droht in diesem Fall, in einer Schuldenlawine zu ersticken. Die politischen Ansteckungseffekte, die man befürchten muss, wenn Griechenland mit noch mehr Geld im Euro gehalten wird, können uns alle ruinieren. Ein griechischer Austritt würde diese Gefahr verringern.
Was würde das den deutschen Steuerzahler und die deutsche Wirtschaft kosten?
Für Deutschland bedeutet dies, dass die Zahlungen an Griechenland begrenzt bleiben. Wir hören auf, ein Fass ohne Boden zu füllen und können endlich wieder Güter gegen Güter statt gegen wertlose Schuldscheine nach Griechenland verkaufen.
Und für Griechenland selbst?
Für die Griechen ist es letztlich auch besser, auch wenn sie den Zugang zur Euro-Druckerpresse verlieren. Nach dem Austritt können sie nämlich zur Drachme zurück, die Drachme abwerten und wettbewerbsfähig werden. Das Land wurde durch die inflationäre Kreditblase, die der Euro erzeugte, zu teuer und muss nun wieder billiger werden. Das im Euro zu erreichen, ist kaum möglich, weil die Kreditnehmer in den Konkurs und die Gewerkschaften auf die Straße getrieben werden. Das ist die Situation, die wir heute haben, mit einer Gesamtarbeilslosigkeit von 26 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent. Das heutige Chaos und die Härten für die Bevölkerung haben zur politischen Radikalisierung geführt.
Und das wird wirklich besser mit der Drachme?
Geordnete ökonomische und politische Verhältnisse lassen sich nur erreichen, wenn das Land austritt, abwertet und so wieder wettbewerbsfähig wird. Die Griechen kaufen dann wieder heimische Produkte statt Importware, die Touristen kommen aus der Türkei zurück, und die reichen Griechen bringen ihr Geld zurück nach Hause, um es in Wohnimmobilien und Fabriken zu verbauen. Die jungen Griechen, die heute arbeitslos sind, haben dann wieder eine Zukunft. Nur so lässt sich das Land mittel- und langfristig wieder politisch stabilisieren und zu einem verlässlichen Bündnispartner machen.
Sie haben für den Fall eines Euroaustritts Griechenlands von einer Haftungssumme für Deutschland in Höhe von knapp 85 Milliarden Euro gesprochen. Können Sie das etwas erläutern?
Die Staatengemeinschaft hat Griechenland für 91 Milliarden Euro Überziehungskredite im Zahlungssystem "Target" gegeben, für 13 Milliarden Euro Kredite in Form eines überproportionalen Banknotendrucks, für rund 17 Milliarden Euro Kredite durch Erwerb griechischer Staatspapiere im Rahmen des sogenannten Securities Markets Programms und für 203 Milliarden Euro Kredite über verschiedene fiskalische Rettungsschirme. Das sind in der Summe 32 Milliarden Euro oder 118 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung. Deutschland ist daran zu einem guten Viertel beteiligt. Die genaue Rechnung ist auf der Homepage des ifo Instituts dargestellt.
Sie werfen der EU „Konkursverschleppung“ vor, die es immer mehr reichen Griechen erlaube, ihr Kapital außer Landes zu schaffen.
Ich werfe das der EZB vor, weil sie schon 70 Milliarden Euro Notkredite gewährt hat, für die die griechische Notenbank formal allein haftet, aber nicht haften kann, weil die maximale Haftungssumme nur 42 Milliarden Euro beträgt. Es ist richtig, dass die privaten Anleger aus dem Ausland sich in den letzten fünf Jahren bereits weitgehend aus dem Staube gemacht haben. Auch viele Griechen haben ihre Vermögen schon außer Landes gebracht. Aber alle haben es noch nicht getan. Die Kapitalflucht hatte allein im Januar und Februar ein Volumen von 42 Milliarden Euro.