Die bisherige Migration mit zu vielen Geringqualifizierten ist ein Verlust-Geschäft, hat Hans-Werner Sinn in der F.A.Z. vorgerechnet. Damit hat der Ifo-Chef eine heftige Debatte ausgelöst. Kritiker bezweifeln seine Rechnung. Nun antwortet er.
Schnell wird man in die Kiste der Immigrationsgegner gepackt, wenn man ein kritisches Wort zur Migration von sich gibt. In meinem Artikel in der F.A.Z. vom letzten Montag habe ich indes ausgeführt, worin der Nutzen der Migranten liegt und dass ein alterndes Land wie Deutschland gar nicht umhin kommt, die frei werdenden Plätze mit Migranten zu besetzten. Nur solle man sie eben besser aussuchen und die Anreize für Sozialmigranten durch die Anwendung des Heimatlandprinzips verringern.
Es werden einem auch sogleich Extrem-Aussagen in den Mund geschoben, die man gar nicht gemacht hat. So unterstellt mir „Spiegel Online“ die Aussage, Migranten, die nach Deutschland kommen, würden das Land unterm Strich mehr kosten, als sie ihm ökonomisch bringen. In Wahrheit habe ich geschrieben, dass sie den Staat mehr kosten, als sie ihm bringen.
Der feine Unterschied ist, dass die Haupteffekte der Migration gar nicht über den Staat laufen, sondern sich auf dem Arbeitsmarkt abspielen. Die Migranten nützen in aller Regel denjenigen, die hierzulande komplementäre Leistungen erbringen, wie z.B. den Journalisten und dem Schreiber dieser Zeilen, aber sie schaden denjenigen, die vergleichbare Leistungen erbringen, und das sind in aller Regel die einfachen Arbeiter. Abgesehen von den fiskalischen Effekten über das Staatsbudget nützen die Migranten aber in aller Regel der ersten Gruppe mehr, als sie der zweiten schaden und helfen insofern den Deutschen in ihrer Gesamtheit. All das hatte ich in der F.A.Z. schon dargestellt.
Defizit von 79.100 Euro je Migrant
Meine Kritik an den Pressemeldungen zu den Ergebnissen der Bertelsmann-Studie von Holger Bonin bezog sich allein auf die Höhe der fiskalischen Effekte, also die Be- und Entlastungen des Staates. Holger Bonin hat für die Stiftung eine ältere Studie des ifo Instituts aus dem Jahre 2001 repliziert, indem er erneut eine Auswertung des sozioökonomischen Panel vornahm. Er kommt zu dem Schluss, dass die Migranten im Jahr 2012 für 3300 Euro mehr Steuern und Beiträge zahlten, als sie in Form von Geldtransfers und staatlichen Ausgaben für Schulen zurückerhielten. Diese Aussage ist von manchen Medien so interpretiert worden, als würden die Migranten das Staatsbudget per Saldo entlasten. Aber das hat Bonin gar nicht gesagt, weil er ja nur einen kleinen Teil der von ihnen verursachten Kosten in Ansatz brachte.
Bonin betont im Gegenteil, dass die von den Migranten geleisteten Abgaben nicht ausreichen, alle anteiligen Staatsausgaben zu bezahlen. So heißt es in seiner Studie: „Stellt man den Ausländern gemäß ihrem Bevölkerungsanteil einen Anteil an den allgemeinen Staatsausgaben – Verteidigung, Straßenbau etc. – in Rechnung, gerät ihre fiskalische Bilanz ins Defizit.“
In der Tat, nicht nur die Lehrer, auch die Richter, Polizisten, Straßenkehrer und Verwaltungsbeamten und alle anderen Staatsausgaben, die die Migranten anteilig in Anspruch nehmen, müssen finanziert werden. Es gibt überhaupt keinen konzeptionellen Unterschied zwischen diesen Kosten und den Kosten der Schulausbildung, die bei der Rechnung bereits abgezogen wurden.
Über das ganze Leben gerechnet kommt Bonin unter Einrechnung all dieser Kosten sogar zu dem Schluss, dass je Migrant ein staatliches Finanzierungsdefizit von 79.100 Euro anfällt. Hierüber hatten die Medien erstaunlicherweise nicht berichtet.
Die Ergebnisse können einen Ökonomen nicht verwundern, denn wenn wir in einem Sozialstaat leben, der von oben nach unten umverteilt, kann es kaum anders sein. Wer überdurchschnittlich verdient, zahlt mehr an den Staat, als er in Form staatlicher Leistungen zurück bekommt, und wer unterdurchschnittlicher verdient, zahlt weniger, als er bekommt. Da Deutschlands Immigranten, wie die neuesten OECD-Statistiken des Jahres 2014 wiederum eindrucksvoll belegen, über eine unterdurchschnittliche Qualifikation verfügen, verdienen sie unterdurchschnittlich und profitieren deshalb von der Umverteilungsaktivität des Sozialstaates. Wäre das nicht der Fall, müsste man an der Konstruktion des deutschen Sozialstaates zweifeln.
Weitere Kosten einbeziehen
Das ifo Institut hat die von Bonin für das Jahr 2012 vorgelegte Rechnung (also nicht die Lebenszeitrechnung) nur insofern erweitert, als alle von ihm noch nicht eingerechneten Kosten des Staates mit dem jeweils durchschnittlichen deutschen Pro-Kopf-Wert eingerechnet wurden. Das macht aus dem jährlichen Pro-Kopf-Überschuss von 3300 Euro ein Defizit von 1800 Euro für den Staat. Da sich die 3300 Euro nur auf den Überschuss der Steuern und Abgaben der Migranten über die von ihnen empfangenen Transfers und verursachten Schulkosten beziehen, gibt es keinerlei Widerspruch zwischen diesen Zahlen.
Nun argumentieren zwei Journalisten von „Spiegel Online“, dass man diese anderen Staatskosten den Migranten nicht voll zurechnen könne, weil sie ohnehin anfallen. Man dürfe nur die sogenannten Grenzkosten rechnen. Dabei bezieht sich das Magazin implizit auf die kurzfristigen Grenzkosten, die es gedanklich nicht einmal vollständig erfasst. Da es bei der Beurteilung von Migrationsstrategien um extrem langfristige Phänomene geht, kommt es freilich nicht auf die kurzfristigen, sondern auf die langfristigen Grenzkosten an, also jene Kosten, die entstehen, wenn die staatlichen Einrichtungen an unterschiedliche Bevölkerungsgrößen angepasst wurden, und diese langfristigen Grenzkosten sind den Durchschnittskosten in aller Regel gleich. Fast immer variiert die Zahl der staatlichen Einrichtungen proportional mit der Bevölkerungsgröße.
Eine Ausnahme liegt im Bereich der Verteidigungsausgaben, die sogenannte reine öffentliche Güter darstellen. Darauf hatte ich hingewiesen. Zieht man diese Kosten ab, verbleibt immer noch eine fiskalische Nettobilanz von minus 1450 Euro.
„Spiegel Online“ verweist darauf, dass Immigranten unsere Bibliotheken und Polizeireviere, deren Kosten ohnehin anfallen, vor einer unzureichenden Auslastung schützen. Das ist wenig überzeugend, denn natürlich könnte man die Zahl der Bibliotheken und Polizeireviere proportional verkleinern, wenn die Bevölkerung zurückgeht. Durch den Verzicht auf Neueinstellungen ließen sich die Personalkosten im Gleichschritt mit der fallenden Bevölkerung zurückführen, wenn man (anders als der Autor dieser Zeilen) keine Migration mehr zulassen wollte. Fixkosten gibt es immer nur kurzfristig. Langfristig ist hingegen alles variabel.
Selbst die Zinskosten des Staates steigen, wenn man mehr Infrastruktur mit Krediten finanziert, und fallen, wenn der Staat auf den Erhalt der Infrastruktur verzichtet und stattdessen seine Schulden tilgt. Zehn Prozent mehr oder weniger Menschen heißt langfristig stets ungefähr zehn Prozent mehr oder weniger Kosten für den Staat. Gäbe es in signifikantem Umfang langfristige Fixkosten des Staates, müssten kleine Länder höhere Staats- und Schuldenquoten haben als große. Das ist jedoch nicht der Fall.
Im Übrigen ist die Vorstellung, dass Deutschland über eine Überkapazität bei der öffentlichen Infrastruktur verfügt, für deren Auslastung Migranten benötigt werden, wenig überzeugend. Im letzten Jahr wurde von den Medien immer wieder berichtet, dass die deutsche Infrastruktur überlastet ist und dringend ausgebaut werden muss. Wenn diese Aussage stimmt, werden die staatlichen Einrichtungen jenseits ihrer optimalen Betriebsgröße genutzt. Dann liegen die kurzfristigen Grenzkosten der Versorgung mit Infrastruktur über-, und nicht unter den Durchschnittskosten, wie gemutmaßt wird.
Was die Autoren von „Spiegel Online“ nicht bedenken ist, dass zu diesen kurzfristigen Grenzkosten auch die sogenannten Ballungsexternalitäten gehören, also Nachteile aus der gegenseitigen Behinderung der Nutzer wie z.B. die Zeitverluste bei den Staus im Straßenverkehr. Die solcherart korrekt berechneten kurzfristigen Grenzkosten sind bei einer optimalen Betriebsgröße der staatlichen Einrichtungen den pekuniären Durchschnittskosten pro Nutzer wie auch den langfristigen pekuniären Grenzkosten gleich. Und wenn die staatlichen Einrichtungen derzeit in unzureichender Kapazität angeboten werden, dann sind die kurzfristigen Grenzkosten sogar höher als die durchschnittlichen pekuniären Kosten. Insofern würden sich eher noch höhere Belastungen durch die Migration ergeben, wenn man auf kurzfristige Grenzkosten abstellt.
Es kommt hinzu, dass die im Staatsbudget erfassten Staatsausgaben die historischen Kosten dieser Infrastruktur vielfach gar nicht mehr abbilden. Verbucht werden oft nur die Unterhaltskosten, die selbst nur ein Teil der kurzfristigen pekuniären Grenzkosten sind. Man denke nur an das Eisenbahn- und Straßennetz oder auch an die städtischen Parks. Das gleiche gilt für die freie Natur in Form von Seen, Kulturlandschaften und Naturschutzgebieten. Mit der Nutzung all dieser Einrichtungen sind zweifellos erhebliche Ballungsexternalitäten und damit ökonomische Grenzkosten verbunden, die bei Eintritt in den Klub „Nationalstaat“ Nutzungsentgelte rechtfertigen würden, aber von den Migranten nicht gezahlt werden.
So gesehen ist die Behauptung, eine Grenzkostenberechnung führe zu einer positiveren Beurteilung der Migration als die vom ifo Institut angewandte Durchschnittskostenrechnung auf der Basis des tatsächlichen Staatsbudgets abwegig. Das Gegenteil wäre der Fall.
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