Was das OMT-Urteil bedeutet

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Project Syndicate, 9.02.2014

MÜNCHEN – Nun endlich hat das Bundesverfassungsgericht seine lang erwartete Stellungnahme zum OMT-Programm der EZB abgegeben. Diese Programm sieht vor, dass die EZB die Staatspapiere eines Krisenlandes ein bis drei Jahre vor ihrer Fälligkeit aufkaufen kann, falls sich das Land den Regeln des Rettungsfonds ESM unterwirft.

Tausende von Deutschen hatten gegen das OMT geklagt, weil es nach ihrer Meinung Artikel 123 des EU-Vertrages widerspricht, der eine monetäre Staatsfinanzierung verbietet, und weil sie befürchten, als Steuerzahler bei einem Staatskonkurs die Zeche bezahlen zu müssen. Das Gericht hat den Klägern nun Recht gegeben. Es stellt fest, dass das OMT das Primärrecht der EU verletzt.

Doch statt dazu ein rechtskräftiges Urteil zu formulieren, um die Bundesbank zum Ausstieg aus dem Programm zu zwingen, was möglich gewesen wäre, reichte das Gericht den Fall an den Europäischen Gerichtshof weiter. Auf den ersten Blick erlaubt diese Entscheidung den Märkten, aufzuatmen, weil der EuGH die Position europäischer Instanzen zu vertreten neigt.  Doch so einfach ist es nicht.

Das Verfassungsgericht hat nämlich nicht auf sein Recht verzichtet, das letzte Urteil darüber zu haben, ob die Aktionen einer EU-Institution mit dem Grundgesetz kompatibel sind. Wenn es zu der Meinung kommen sollte, dass der EuGH den EU-Vertrag in einer Weise interpretiert, die der deutschen Verfassung nicht gerecht wird, hat es das Recht, vom Bundestag und der Regierung eine Neuverhandlung der Verträge zu verlangen und ein Referendum anzuordnen.

Daher bittet das Verfassungsgericht den EuGH nicht zu entscheiden, ob das OMT mit dem EU-Recht kompatibel ist, sondern eine Begrenzung des OMT zu verfügen, die die bislang nicht vorhandene Kompatibilität herstellt. Das Verfassungsgericht selbst bringt dazu eine Volumenbegrenzung ins Spiel sowie Regeln, die ausschließen, dass die EZB im Falle eines Staatskonkurses von einem Schuldenschnitt betroffen wäre.

Letzteres impliziert, dass die EZB Vorrang vor privaten Schuldnern genieß, wie es beim ersten griechischen Schuldenschnitt im Frühjahr 2012 der Fall war. Das würde das OMT zu Fall bringen, denn seine Wirkung beruht ja gerade darauf, dass die EZB statt der privaten Anleger die Lasten des Staatskonkurses trägt. Die bei einigen Anlegern aufkommende Euphorie ist deshalb verfrüht.

Die Entscheidung, den Fall dem EuGH vorzulegen, reduziert die Wirksamkeit des OMT auch deshalb, weil die EZB es vor einer solchen Entscheidung schwerlich wagen wird, Staatspapiere zu kaufen. Sie würde sich damit ja der Chance berauben, dass der EuGH eine Begrenzung des OMT mit der Begründung ablehnt, dass das Programm noch nicht aktiviert wurde.

In der Sache liegt das Bundesverfassungsgericht richtig. In der Tat kann das OMT zu einer massiven Vermögensumverteilung zwischen den Völkern Europas führen. Abschreibungsverluste auf Staatspapiere würden voll auf die Steuerzahler durchschlagen, da die Verluste des EZB-Systems sich in Form verminderter Ausschüttung von Geldschöpfungsgewinnen zeigen würden. Und natürlich müssten sie für die Transferprogramm aufkommen, die zur Vermeidung solcher Abschreibungsverluste aufgelegt würden.  

Sicher, das OMT hat die politische Situation beruhigt, weil es das Risiko des Staatskonkurses von cleveren Anlegern auf gutgläubige Steuerzahler übertrug. Das OMT ist eine kostenlose CDS-Versicherung gegen den Ausfall von Staatspapieren, wie sie jeder Anleger auch selbst auf dem Markt erwerben könnte. Es sorgt dafür, dass das private Kapital wieder dahin fließt, wo es zuvor schon verbrannt wurde. Aber das alles sind kein rechtlich relevanten Aspekte.

Dem Verfassungsgericht ist zuzustimmen, wenn es sich auf den Standpunkt stellt, der Kauf von europäischen Staatspapieren sei keine Geldpolitik und verletze des Mandat der EZB. Weder in den USA noch in der Schweiz agieren die Zentralbanken als Instanzen der letzten Zuflucht für die Papiere von Teilregionen der Währungsunion. Die Fed kauft zwar Papiere des Bundes, doch nicht der Einzelstaaten. Die Staatspapiere der Pleitekandidaten Kalifornien oder Illinois rührt sie nicht an.

Auch liegt das Gericht richtig, wenn es sich gegen eine Politik der Verminderung von internationalen Zinsunterschieden in der Eurozone unter dem Deckmantel der Geldpolitik wendet. Zinsunterschiede sind ein zentrales Steuerungsinstrument der Marktwirtschaft. Wenn ein Staat sich stärker verschuldet, muss er höhere Zinsen zahlen, weil seine Konkurswahrscheinlichkeit steigt, und genau deshalb hütet er sich, zu viele Schulden aufzunehmen.

Die Schwierigkeiten der Südländer entstanden aus einer inflationären Kreditblase, die diese Länder ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte und auf fehlende Zinsunterschiede zurückzuführen waren. Zinsunterschiede inklusive solcher, die aus einem Euro-Austritt und einer Abwertung zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit resultieren, sind essenziell für die langfristige Überlebensfähigkeit, Stabilität und allokative Effizienz einer Währungsunion.

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