Sechs Grundsätze

Hans-Werner Sinn über notwendige Bedingungen für den Kombilohn
Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 12.01.2006, S. 128, Rubrik: "Ausblick"

Die Pläne zum Kombilohn verdichten sich. Nachdem sich alle drei Koalitionsparteien explizit dafür ausgesprochen haben, steht die Marschrichtung fest. Aber Vorsicht: Jetzt keine Fehler machen und das Ganze ökonomisch sauber durchkonstruieren! Deshalb hier noch einmal ein Blick auf das Problem und seine Lösung.

Zu den gegebenen Qualifikationen der Bevölkerung, dem technische Wissen, dem Kapitalstock der Wirtschaft und der internationalen Lohnkonkurrenz gehört eine quasi natürliche Spreizung der Lohnsätze über die Qualifikationsstufen hinweg, die in allen Segmenten des Arbeitsmarktes Vollbeschäftigung schaffen würde. Diese Spreizung ergäbe sich bei wettbewerblichen Strukturen auf dem Arbeitsmarkt von allein, und sie wäre effizient, weil die vorhandene menschliche Arbeitskraft voll ausgenutzt und das Sozialprodukt entsprechend maximiert würde. Jedoch wäre die Ungleichheit immens. Viele Menschen könnten von den sich so für sie ergebenden Einkommen nicht auskömmlich leben.

Deshalb sichert der Sozialstaat das Existenzminimum heute mittels staatlicher Lohnersatzzahlungen. Der Lohnersatz schiebt freilich die Lohnverteilung von unten her wie eine Ziehharmonika zusammen und erzeugt dadurch Arbeitslosigkeit. Der Lohn in der niedrigsten Qualifikationsstufe muss in einem gewissen Abstand über dem Lohnersatz liegen, und der ganze Rest der Lohnverteilung baut sich darauf auf. Über eine Substitutionskette werden alle Löhne bis in den mittleren Bereich über das jeweils markträumende Niveau hinausgeschoben.

Die durch die Lohnerhöhung verursachte Arbeitslosigkeit ist bei den gering Qualifizierten am größten und nimmt zu den höheren Qualifikationen hin allmählich wieder ab. Die Löhne der Hochschulabgänger sind so weit von den Sozialleistungen entfernt, dass der Ziehharmonika-Effekt sich dort verliert.

Kein Wunder, dass Deutschland mit seinem hohen Lohnersatzniveau OECD-Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit der gering Qualifizierten ist, während es zugleich bei der Arbeitslosigkeit der hoch Qualifizierten im internationalen Durchschnitt liegt.

Der Wechsel von Lohnersatzleistungen zu Kombilöhnen ermöglicht die Rückkehr zur natürlichen Spreizung der Löhne, weil Lohnzuschüsse keine Mindestlohnansprüche aufbauen. Das Outsourcing einfacher Arbeit wird verlangsamt, weniger Menschen werden durch Roboter ersetzt, weniger Produktionsfaktoren werden von den arbeitsintensiven Binnensektoren in die kapitalintensiven Exportsektoren getrieben, und vor allem können sich die einen den Erwerb der Dienste der anderen wieder leisten.

Zugleich wird Armut vermieden, weil die Geringverdiener zu ihrem Lohn ein staatliches Einkommen hinzu erhalten. Damit diese Wirkungen eintreten, müssen freilich sechs Grundsätze beachtet werden:

1. Der Staat muss seine Lohnzuschüsse dauerhaft gewähren. Nur so ist die größere Lohnspreizung gesellschaftlich zu verkraften, die die Voraussetzung für ein dauerhaft höheres Beschäftigungsniveau ist.

2. Der Kombilohn darf nicht mit gesetzlichen Mindestlohnschranken verbunden werden, da er ja gerade deshalb wirkt, weil er die im Lohnersatzsystem liegende Mindestlohnschranke beseitigt. Der Lohn für einfache Arbeit wird dennoch nicht ins Bodenlose fallen, denn irgendwo kommt der Punkt, wo die offenen Stellen überwiegen und die Arbeitgeber die Löhne wieder hochkonkurrieren, um Leute zu bekommen. Nach Schätzung des ifo Instituts wird der Lohn für einfache Arbeit um etwa ein Drittel fallen, wenn 2,3 Millionen gering Qualifizierte zusätzlich beschäftigt werden sollen.

3. Es ist unmöglich, mehr Stellen zu schaffen, ohne die Lohnkosten zu senken, und es ist unmöglich, die Lohnkosten ausschließlich für neu eingestellte Personen zu senken, weil es sonst Drehtüreffekte gäbe. Billige Outsider würden teure Insider ersetzen. Deshalb machen Kombilohn-Modelle, die mit temporären Geldleistungen eine Wiedereingliederung von Arbeitslosen anstoßen wollen, keinerlei Sinn. Und deshalb muss der Kombilohn auch den bereits beschäftigten Insidern gezahlt werden, wenn deren Löhne fallen.

4. Um die hilfsbedürftigen Insider zu identifizieren, muss sich der Kombilohn an den persönlichen Einkommens- und Familienverhältnissen orientieren. Er muss deshalb als negative Einkommensteuer ausgestaltet sein. Bloße Lohnzuschüsse an Unternehmen würden zu Ungerechtigkeit, Ineffizienz und überhöhten Finanzierungslasten führen. Ein großes Tohuwabohu wäre die Folge.

5. Ein Kombilohn, der allen bislang Arbeitslosen zur Verfügung steht, kommt nicht in Frage. Das war nach eigenem Bekunden das „Herzstück“ von Hartz. Hartz wollte die Lohnkosten aller bislang arbeitslosen Personen ohne zeitliche Befristung auf 50% des Tariflohnes herabschleusen. Die Idee war absurd. Ihre Umsetzung hätte gigantische Summen gekostet. Nur Zuschüsse am unteren Ende der Lohnskala sind möglich.

6. Damit ein in solcher Weise eingeschränkter Kombilohn finanziert werden kann, müssen die Lohnersatzleistungen entsprechend zurück gefahren werden. Heute gibt der Staat etwa 100 Mrd. Euro pro Jahr für Arbeitslose einschließlich der Frührentner aus. Ein Teil dieses Geldes muss für die Kombilöhne verwendet werden. Geringverdienern während der Arbeit einen Zuschuss zu ihrem Lohn zu zahlen kann billiger kommen, als die Arbeitslosen weiterhin zu hundert Prozent zu finanzieren. Nach den Rechnungen des ifo Instituts würde ein Kombilohn in Form einer aktivierenden Sozialhilfe ca. 5 Mrd. Euro weniger kosten als Hartz IV.

Also: Der Staat muss sein Geld fürs Mitmachen statt fürs Wegbleiben ausgeben, aber er braucht dafür nicht mehr Geld in die Hand zu nehmen als bislang schon.