WirtschaftsWoche, 16. April 2021, Nr. 16, S. 39.
Deutschland kassiert zwar nur eine Körperschaftsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) von 16 Prozent. Rechnet man jedoch die Gewerbesteuer hinzu, kommt man im Mittel auf 30 Prozent. Das ist unter den Industrieländern ein Spitzenniveau, das in ähnlicher Höhe nur noch Japan und Frankreich erreichen. Es unterminiert die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes im Standort- und Steuerwettbewerb.
In den meisten Ländern liegen die Unternehmensteuern unter 25 Prozent, in vielen sogar unter 20 Prozent. Den Vogel schießen in der EU Länder wie Bulgarien, Zypern, Irland und Ungarn ab, wo der Fiskus nur etwa zehn bis zwölf Prozent verlangt. Außerhalb der EU gibt es viele Länder, die als Steueroasen agieren und noch niedrigere Steuern auf Kapitaleinkünfte verlangen, bisweilen sogar gar keine. Dazu gehören Länder wie die Bahamas, Bermuda, Jersey, Panama, Fidschi, Monaco, Cayman Islands, Hongkong oder Singapur, die man seit Langem mit dubiosen Finanzpraktiken assoziiert.
Niedrigsteuerländer ziehen bisweilen Firmen an, die ihre Standorte mitsamt der Arbeitsplätze dorthin verlagern. Steueroasen sind meistens zu klein dafür. Sie haben eher die steuerlichen Bemessungsgrund - lagen im Visier und spekulieren auf eine Verlagerung von Steuereinnahmen in ihre Hoheitsgebiete, indem sie Firmenzentralen und Holdings anlocken. Das sind manchmal nicht viel mehr als Briefkastenfirmen.
Ärgernis für große Länder
Dabei findet der Steuerwettbewerb nicht nur über die Steuersätze statt, sondern großenteils auf dem Wege eine rechnerischen Verkleinerung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen. Dies geschieht etwa dadurch, dass nur pauschalierte Kapitaleinkünfte zu versteuern sind oder großzügige Abschreibungsregeln gewährt
werden.
Das erklärt, wieso in manchen Liste der Steuerparadiese sogar EU-Länder (Luxemburg, Niederlande, Irland) auftauchen. Niederländische Firmen waren seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Europas größte Direktinvestoren in Osteuropa. Die Umlenkung der Investitionsmittel über die Niederlande versprach Investoren große steuerliche Gewinne im Vergleich zu einer Direktinvestition vom Heimatland aus.
Die Niedrigsteuerkonkurrenz ist ein Ärgernis für große Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien, denn ihnen gehen erhebliche Steuereinnahmen verloren. Vielfach verlieren sie auch reales Geschäft mit Arbeitsplätzen und Spillover-Effekten für die lokale Wirtschaft.
Natürlich könnten diese Länder selbst aggressiver im Steuerwettbewerb vorgehen und ihre Steuersätze absenken. Das ist aber für große Länder nicht so einfach. Senkt ein Land seine effektiven Steuersätze unter das Niveau anderer Länder, hat sein Fiskus davon Nachteile und Vorteile. Zu den Nachteilen gehört, dass vorhandene Firmen weniger Steuern zahlen. Ein Vorteil ist, dass sich neue Firmen ansiedeln, die die Zahl der Steuerzahler vergrößern. Je kleiner die Länder sind, desto weniger wiegt der nachteilige Effekt. Deshalb neigen kleine Länder eher als große dazu, eine aggressive Strategie im Steuerwettbewerb zu verfolgen. Das mag erklären, dass die neue Initiative zur Begrenzung des Steuerwettbewerbs aus den USA kommt – und dass vor allem die großen Länder Europas Beifall klatschen.
Doch nicht nur für große Länder ist der Steuerwettbewerb ein Problem. Auch wenn alle Länder gleich groß wären, spräche nicht viel für ihn. Er würde nämlich dazu tendieren, die Steuersätze so weit abzusenken, dass die Unternehmenssteuern ihren fiskalischen Charakter verlieren und zu bloßen Gebühren für die Nutzung der Infrastruktur degenerieren.
Bei einem intensiven Wettbewerb der Staaten kann man erwarten, dass die Steuersätze auf das Niveau der Grenzkosten der Beherbergung mobilen Kapitals herabrutschen und deshalb ihren fiskalischen Charakter verlieren. Dann lassen sich sozialpolitische Ziele und Aufgaben der allgemeinen Daseinsvorsorge nicht mehr verwirklichen.
So gesehen spricht viel dafür, Yellen zu folgen und darauf zu dringen, dass sich die EU an einem Abkommen mit den USA und anderen willigen Staaten beteiligt. Yellens Vorstoß könnte den Beginn einer neuen Phase weltumspannender Kooperation markieren, die endlich die vielfältigen Fehlwirkungen einzelstaatlicher Politikansätze und das weltweite Trittbrettfahrertum überwinden. Er könnte zugleich als Modell dienen, einen Klimaklub zu gründen, eine Vereinigung von Ländern und Gebieten der Erde, die bereit sind, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Die Mitglieder könnten sich zum Ausgleich gegenseitig Zollvorteile einräumen, die Außenstehenden nicht gewährt werden und so eine Magnetwirkung auf andere entfalten.
Nachzulesen auf www.wiwo.de.