Der Bundespräsident hat die Politik in seiner Rede vom 15. März ermuntert, die Aktivierende Sozialhilfe in Deutschland einzuführen. Die Aktivierende Sozialhilfe ist ein Zuschusssystem für Niedrigverdiener, das im Mai 2002 vom ifo Institut für Wirtschaftsforschung in Form eines umfangreichen Gutachtens vorgestellt wurde.
Teile des Modells sind in die Hartz-Vorschläge eingeflossen, die im Spätsommer des Jahres veröffentlicht wurden. Das Modell wurde des weiteren im Sommer des Jahres 2002 fast unverändert vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und im Herbst vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung übernommen.
Im Kern geht es darum, den Sozialstaat vom Konkurrenten zum Partner der privaten Wirtschaft zu machen. Die Devise ist, dass jeder arbeiten soll, zu welchem Lohn auch immer er Beschäftigung finden kann, dass aber der Staat denjenigen, die dann nicht genug verdienen, einen persönlichen Zuschuss gewährt, so dass in der Summe aus dem selbst verdienten Lohn und dem Zuschuss ein sozial auskömmliches Gesamteinkommen entsteht.
An die Stelle des Lohnersatzes, wie er als Sozialhilfe bzw. als Arbeitslosengeld II gewährt wird, treten an die Arbeitnehmer ausgezahlte Lohnzuschüsse. Durch den Wechsel zu Lohnzuschüssen fallen die Lohnansprüche der gering Qualifizierten, und zu niedrigeren Löhnen gibt es mehr Beschäftigung. Zugleich verhindern die Zuschüsse negative Konsequenzen für Geringverdiener oder federn sie zumindest ab, denn sie treten additiv zu den Löhnen hinzu. Das System gilt nur für erwerbsfähige Personen. Der Status nicht erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger wird nicht verändert.
Die Hartz IV-Gesetzgebung hat bereits mit den Ein-Euro-Jobs und der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe einige Aspekte der Aktivierenden Sozialhilfe berücksichtigt. Allerdings ist das Arbeitslosengeld II nach wie vor als Lohnersatz ausgestaltet, der eine hohe Eintrittsbarriere für den Arbeitsmarkt schafft. Je nach Einkommenshöhe werden zwischen 80% und 90% des eigenen Mehrverdienstes wieder entzogen, den man durch Mehrarbeit erhält. Die daraus resultierenden Lohnansprüche sind zu hoch, als dass dafür Stellen geschaffen werden können.
Durch folgende Maßnahmen ließe sich das Hartz-IV-System zur Aktivierenden Sozialhilfe umbauen.
1. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten werden deutlich verbessert. Bis zu 400 Euro monatlich kann man ohne Abzüge beim Arbeitslosengeld II selbst verdienen. Das Arbeitslosengeld II steht neben dem Lohn in vollem Umfang zur Verfügung.
2. Die ersten 200 Euro eigenen Einkommens werden zudem mit 20% bezuschusst.
3. Ab 400 Euro eigenen Einkommens werden staatliche Abgaben und Transferentzug so begrenzt, dass der Entzugseffekt niemals über 70% liegt.
4. Zur Beherrschung der finanziellen Belastung für den Staat wird das Arbeitslosengeld II für nicht beschäftigte Personen um ca. ein Drittel gekürzt.
5. Um zu verhindern, dass irgend jemand mit seinem Einkommen unter das heutige Niveau des Arbeitslosengeldes II (die bisherige Sozialhilfe) rutschen kann, werden flächendeckend kommunale Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung gestellt, für die im Falle einer Vollzeitbeschäftigung ein Lohn in Höhe des heutigen Arbeitslosengeldes II gezahlt wird. (Wo es der Staat versäumt, solche Stellen zur Verfügung zu stellen, muss auch bei den nicht beschäftigten Personen eine Kürzung unterlassen werden.) Zumutbarkeitsprüfungen entfallen.
6. Die kommunalen Beschäftigungsverhältnisse sollen bevorzugt Leiharbeitsverhältnisse sein, bei denen sich die Arbeitnehmer bereit erklären, in der Privatwirtschaft tätig zu werden. Die Bedingungen des Verleihs richten sich nach der jetzigen Gesetzeslage. Die Kommunen können sich dabei auch der Mithilfe der bestehenden Leiharbeitsfirmen bedienen. Der Honorarsatz mit dem privaten Kunden der Leiharbeitsfirma bleibt frei aushandelbar.
Das System wird gegenüber der Hartz-IV-Gesetzgebung nach den Rechnungen das ifo Instituts eher zu einer finanziellen Entlastung des Staatshaushaltes führen. Dabei ist voll berücksichtigt, dass sich die Lohnsenkung auch in die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse für Geringverdiener übertragen wird. Auch die hiervon betroffenen Personen müssen bezuschusst werden. Gegenüber einer Bezuschussung der Arbeitgeber liegt gerade hierin ein Vorteil der Aktivierenden Sozialhilfe. Sie federt Einkommensverluste bei den Geringverdienern flächendeckend ab. Lohnzuschüsse nur für neu beschäftigte Arbeitnehmer würden die Löhne der bereits beschäftigten gering Qualifizierten senken, ohne dass eine Kompensation zur Verfügung steht. Außerdem hat die Aktivierende Sozialhilfe den Vorteil, dass sie an persönlichen Verhältnissen ausgerichtet werden kann und es deshalb keine Zuschüsse für besser verdienende Arbeitnehmer gibt, was es schwierig machen könnte, die finanziellen Lasten zu beherrschen.
Es kann erwartet werden, dass die Arbeitslosigkeit im Niedriglohnsektor weitgehend abgebaut wird. Darüber hinaus wird es längerfristig zu einer größeren Spreizung der Lohnskala kommen, die den Arbeitsmarkt insgesamt mobilisiert.
Hans-Werner Sinn
ifo Institut für Wirtschaftsforschung