ifo Präsident erklärt in seinem neuen Buch „Kasino-Kapitalismus“, wie das Bankensystem zur Spielwiese von Glücksrittern wurde, und benennt die Fehler im deutschen Rettungspaket.
Sinn fordert die vorübergehende Beteiligung des Staates an den Banken, drastisch höhere Eigenkapitalquoten und die Einschränkung problematischer Geschäftsmodelle.
„Das Problem liegt nicht in erster Linie in der fehlenden Moral der Akteure, sondern in falschen Anreizen und einer allzu laschen Regulierung“, sagt Sinn.
Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener ifo Instituts, hat eine umfassende Analyse der aktuellen Finanzkrise vorgelegt. Unter dem Titel „Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam, und was jetzt zu tun ist“ untersucht Sinn die Ursachen der Krise, benennt die Fehler des deutschen Rettungspakets und entwirft einen Masterplan zur Sanierung der Finanzmärkte.
Als Ursache für die Bankenkrise sieht er das spekulative Verhalten der US-amerikanischen Hausbesitzer und Banken aufgrund verschiedener Haftungsbeschränkungen. Die Privathaushalte finanzierten selbst die dubiosesten Objekte, weil sie wussten, dass sie im Falle des Misserfolgs nicht mit ihrem sonstigen Vermögen oder ihrem Arbeitseinkommen würden haften müssen. Banken gaben die Kredite, weil auch sie angesichts ihres geringen Eigenkapitals asymmetrisch an den Gewinnen und Verlusten ihres Geschäfts beteiligt waren. Die Gewinne wurden privatisiert, die Verluste wurden sozialisiert. Sinn zeigt eindrucksvoll, wie sich die immer lascheren gesetzlichen Eigenkapitalanforderungen auf die Geschäftspolitik der Banken ausgewirkt haben: Nur weil das Verlustrisiko großteils auf Fremdkapitalgeber oder den Steuerzahler abgewälzt wurde, konnten die Banken Traumrenditen von 25 Prozent und mehr auf ihr Eigenkapital erzielen.
„Das Problem liegt nicht in erster Linie in der fehlenden Moral der Akteure, sondern in den falschen Anreizen, die aus der beschränkten Haftung der Banken in Verbindung mit einer allzu laschen Regulierung entstehen. Weil es den Banken erlaubt ist, ihr Geschäft mit einem Minimum an Eigenkapital zu betreiben, finden sie es attraktiv, mit dem Geld ihrer Kunden auf den Weltkapitalmärkten Roulette zu spielen“, sagt Professor Sinn.
Hinzu kommt laut Sinn das Versagen der Rating-Agenturen. Durch viel zu positive Bewertungen haben sie wesentlich dazu beigetragen, dass die kompliziert strukturierten US-Schrottpapiere weltweit Käufer fanden.
Deutliche Kritik übt Sinn an dem deutschen Rettungspaket. Es sei nicht geeignet, den Eigenkapitalmangel der Banken zu beheben – mit drastischen Folgen für die Realwirtschaft. Nach den Verlusten der vergangenen Quartale operieren viele Banken heute in gefährlicher Nähe zu der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestkernkapitalquote von 4 Prozent. Wenn diese Quote unterschritten wird, verliert eine Bank ihre Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Banken können dem nur entgehen, wenn sie sich entweder neues Eigenkapital besorgen oder ihre Ausleihungen reduzieren. Da Eigenkapital am Markt angesichts der miserablen Kurse derzeit nicht zu bekommen ist, ist es sinnvoll, dass der Staat in die Bresche springt.
Die Regierung hat die Mittel des deutschen Rettungspakets aber größtenteils als Bürgschaften bereitgestellt und Eigenkapitalhilfen mit massiven Auflagen verbunden.
„Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, dass die Banken ihr Geschäftsvolumen verringern, um ihre Geschäftserlaubnis zu schützen. Bei 4 Prozent bilanzieller Eigenkapitalquote lässt sich ein Verlust von einem Prozent bei den Anlagen aber nur mit 25 Prozent weniger Ausleihungen ausgleichen. Dieser gewaltige Multiplikator kann der deutschen Wirtschaft zum Verhängnis werden, weil das Geld für notwendige Investitionen fehlt“, erklärt Sinn.
Auch die aktuell geplanten Bad Banks haben nach Einschätzung von Sinn einen entscheidenden Konstruktionsfehler. Die Banken sollen die wahrscheinlichen Verluste der Bad Banks nur insoweit mittragen, als sie diese aus späteren Gewinnen im normalen Bankgeschäft finanzieren können. Das Eigenkapital ist vor der Haftung geschützt.
„Bad Banks sind eine Bad Idea – eine schlechte Idee. Sie läuft darauf hinaus, das Vermögen der Bankaktionäre zu erhöhen und das der Steuerzahler zu verringern“, fasst Sinn zusammen.
Sinn schlägt in seinem Buch selbst ein ganzes Paket von Maßnahmen gegen die Krise vor. Als Soforthilfe sollte sich der Staat mit einer erzwungenen Kapitalerhöhung an angeschlagenen Banken beteiligen, wenn sie nicht genug privates Eigenkapital auftreiben können. Ziel dieser Beteiligung sollte es sein, das durchschnittliche Bilanzvolumen der vergangenen drei Jahre mit mindestens 4 Prozent Eigenkapital zu unterlegen und die Risikopositionen mit mindestens 8 Prozent Kernkapital. Sinn sieht in der Beteiligung des Staates aber nur eine vorübergehende Lösung. Nach der Krise soll der Staat seine Anteile wieder verkaufen, denn der Staat hat zwar Geld, ist aber ein schlechter Banker.
Mittel- und langfristig spricht sich Sinn für eine deutlich strengere und international harmonisierte Regulierung des Bankensystems aus. Als wichtigste Ordnungsregel sollten die Staaten von den Banken auch langfristig wesentlich höhere Eigenkapitalquoten verlangen. Ergänzend fordert der ifo Präsident weltweit die Rückkehr zur vorsichtigen Buchführung nach dem Vorbild des deutschen HGB, ein Verbot der extrem spekulativen Leerverkäufe sowie enge gesetzliche Grenzen für Zweckgesellschaften, Hedgefonds und das Geschäft mit Kreditversicherungen (CDS, Credit Default Swaps).
Kasino-Kapitalismus erschien im Econ-Verlag, 18. Mai 2009, 352 Seiten. € 22,90. ISBN-13: 9783430200844.