Als erster deutschsprachiger Ökonom wird heute um 16.00 Uhr der Präsident des Münchner ifo Instituts, Prof. Hans-Werner Sinn, die Tinbergen Lecture halten.
Die Tinbergen Lectures wurden 1987 von der Royal Netherlands Economic Association zur Erinnerung an Hollands ersten Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Jan Tinbergen, begründet. Die Einladung wird von einem Auswahlkomitee der Gesellschaft ausgesprochen und gilt als eine der international höchsten Ehrungen des Fachs. Zu den bisherigen Rednern gehörten zum Beispiel Lawrence Klein, James Tobin, Robert Solow, Franco Modigliani und Joseph Stiglitz, Paul Krugman, Olivier Blanchard und Martin Feldstein.
Neben Japan belegen die Länder Europas die niedrigsten Ränge in der internationalen Geburtenstatistik. In 50 Jahren wird die EU 20 Millionen Menschen verloren haben, während die USA um 124 Millionen zugenommen haben wird. Die Dynamik wird diesen Kontinent verlassen, wenn es nicht gelingt, den verhängnisvollen Trend bei den Geburtenraten zu ändern. Prof. Sinn analysiert in seinem Vortrag die Implikationen des europäischen Geburtenrückgangs für die Innovationskraft, das wirtschaftliche Wachstum und die europäischen Rentensysteme, und er untersucht die Ursachen für diese Entwicklung. Als zentrale Ursache sieht er die Beseitigung des Investitionsmotivs für die Nachwuchsentscheidung, die mit der Einführung der Rentenversicherung nach dem Umlagesystem und der Sozialisierung der Schaffenskraft der Kinder einherging. Dementsprechend fordert er eine stärkere Differenzierung der Umlagerenten nach der Kinderzahl und eine Kompensation der fehlenden Umlagerenten durch kapitalgedeckte Rententeile. Konkret empfiehlt er die Deckelung der bisherigen gesetzlichen Renten durch Einfrieren der Beitragssätze und Staatszuschüsse, die Einführung einer steuerfinanzierten Kinderrente zur Alterssicherung der Eltern sowie die Pflicht zur Kapitalbildung bei den Kinderlosen. Sein Vorschlag löst die akute Versorgungskrise, denen die Rentner in etwa 30 Jahren ausgesetzt sein werden, und er senkt die Beitrags- und Steuerlasten, die andernfalls von zukünftigen Generationen zu schultern wären. Der Vorschlag liefert zudem einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung. Dabei legt Prof. Sinn Wert darauf, dass sein Reformvorschlag keine Staatsintervention in die Familienplanung ist, sondern ganz im Gegenteil die heute auf dem Wege der Rentenversicherung vorhandene Intervention zurückfährt. Der freien Entscheidung der Menschen bei der Familienplanung wird damit wieder mehr Raum gegeben.
„Europe’s Demographic Deficit. A Plea for a Child Pension System“, De Economist 153, 2005, S. 1-45; Tinbergen Lectures, Amsterdam, 22. Oktober 2004.