Der Untergang der Silicon-Valley-Bank (SVB) hat vor wenigen Wochen ein weltweites Beben an den Finanzmärkten ausgelöst. Ihm ist in der Credit Suisse eine der größten Banken der Welt zum Opfer gefallen. Im Zentrum des Geschehens stand eine Anlageklasse, die bei der Lehman-Krise vor 15 Jahren noch als unverdächtig gegolten hatte: Staatspapiere.
WirtschaftsWoche, 14. April 2023, Nr. 16, S. 43.
Die SVB kam nicht nur in Schwierigkeiten, weil sie riskante Start-ups aus der US-Gründerszene finanzierte, sondern vor allem wegen ihrer Investments in Staatspapiere. Obwohl Staatspapiere in aller Regel zum Fälligkeitszeitpunkt bedient werden und insofern als sicher gelten können, unterliegen sie einem hohen Zinsänderungsrisiko. So hat die rapide Zinserhöhung des vergangenen Jahres die Kurse der bereits emittierten Papiere in den Keller rutschen lassen und den Banken, die sie hielten, massive Eigenkapitalverluste beschert. Da die SVB wegen einer Depositenflucht zur Liquidierung eines Teils ihrer Staatspapiere gezwungen war, konnte sie diese Verluste nicht mehr verbergen.
Die neue Bankenkrise wäre vermutlich vermeidbar gewesen, hätte die Geld- und Wirtschaftspolitik in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten nicht zwei verhängnisvolle Fehler gemacht. Der erste Fehler lag darin, dass die Notenbanken mit exzessiven Staatspapierkäufen die Zinsen für diese Anleihen senkten, um den Staaten bei der Finanzierung ihrer Haushalte zu helfen – und unterkapitalisierte Banken durch Kursgewinne auf ihre Portfolios über Wasser zu halten. Die Notenbankchefs Ben Bernanke (Fed) und Mario Draghi (EZB) galten wegen ihrer konzertierten Dopingaktion als die neuen Retter des Abendlandes. Allein in Europa machten Staatspapierkäufe 82 Prozent der 5,1 Billionen Euro aus, um die in den Jahren seit der Lehman-Krise die Zentralbankgeldmenge in Relation zur Wirtschaftsleistung gestiegen war.
Der zweite Fehler lag in einer viel zu laschen Regulierung der Banken, die eine Unterkapitalisierung in Form fehlender Eigenkapitalpuffer provozierte. Zum einen wurde es den Banken erlaubt, einen Teil der durch niedrige Zinsen erzeugten Wertzuwächse als Dividenden auszuschütten. Zum anderen durften (und dürfen) die Banken nach den Regeln des Basel-Abkommens Staatspapiere ohne Eigenkapitalunterlegung halten.
Die regulatorische Eigenkapitalquote einer Bank, die sogenannte Kernkapitalquote, wird nämlich nicht berechnet, indem man das Eigenkapital durch die Bilanzsumme teilt, wie es in der Realwirtschaft üblich ist, sondern durch die Summe der risikogewichteten Aktiva. Bei der Berechnung dieser Summe erhalten Staatspapiere ein Risikogewicht von null.
Dies macht Staatspapiere für Banken zu attraktiven Anlageobjekten. Eigenkapital ist eine betriebswirtschaftlich teure Finanzierungsquelle, weil es den Eigentümern der Bank die Möglichkeit nimmt, im Falle einer Havarie beim Staat um Hilfe zu betteln oder den Depositenkunden und anderen Gläubigern Verluste aufzubürden, die man eigentlich selbst hätte tragen müssen. Je weniger Eigenkapital für ein Wertpapier unterlegt werden muss, desto attraktiver ist dieses Papier für die Banken – und desto niedriger der Zins, den sein Emittent bezahlen muss.
Banken strenger regulieren
Auch dieser Effekt hat dazu beigetragen, dass Schuldenmachen für die Staaten immer attraktiver wurde und der daraus resultierende Schub bei der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Inflation ankurbelte – was wiederum die Zinswende und das Bankenbeben zur Folge hatte. Vor die Wahl gestellt, entweder die Banken zu retten oder die Inflation zu bekämpfen, dürften sich die Notenbanken wohl am Ende für Ersteres entscheiden.
Die Lehre aus diesen Fehlentwicklungen kann nur sein, die Banken in Zukunft einer viel strengeren Eigenkapitalregulierung zu unterwerfen. Konkret bedeutet das, bloße Wertzuwächse im Portfolio nicht länger als Eigenkapital zu verbuchen und die Banken wieder einem strengen Niederstwertprinzip bei der Bewertung ihrer Aktiva zu unterwerfen – so wie es in Europa früher üblich war.
Ferner sollte die Privilegierung der Staatspapiere bei den Eigenkapitalpflichten wegfallen. Am besten geschieht das, indem die Risikogewichtung der Aktiva bei der Feststellung regulatorischer Eigenkapitalquoten wegfällt und stattdessen den Banken eine hohe Eigenkapitalquote in Relation zur gesamten ungewichteten Bilanzsumme abverlangt wird.
Erst wenn das Bankensystem auf diese Weise stabilisiert ist, können sich die Notenbanken wieder ihrer eigentlichen Aufgabe widmen: die Inflation zu bekämpfen, ohne ein Finanzbeben zu riskieren.
Nachzulesen auf www.wiwo.de.