Nachzulesen auf www.faz.net.
Hans-Werner Sinn stellt sein neues Buch vor und macht das Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts zum Lehrstück für Europa und seine Schuldenkrise.
Der Ökonom mit dem markanten Lincoln-Bart warnt die Europäer eindringlich davor, den Fehler zu wiederholen, den die Vereinigten Staaten kurz nach ihrer Gründung gemacht haben. So berichtet Hans-Werner Sinn gern vom ersten amerikanischen Finanzminister Alexander Hamilton, der 1790 die Schulden der Bundesstaaten, die aus der Revolutionszeit stammten, zu Bundesschulden gemacht hat – in der Hoffnung, ihre Sozialisierung sei ein „wirkungsvoller Zement für unsere Union“.
Doch weckte sein Vorgehen die Erwartung, auch künftig Schulden in Washington abladen zu können, zumal es im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine zweite Schuldensozialisierung gab. Die fröhliche Kreditpolitik, die daraufhin betrieben wurde, führte anschließend erst zum Boom, dann zur Blase und später zu einer tiefen Depression. Am Ende gab es reihenweise Pleiten von Bundesstaaten. Der Münchener Ökonom verweist in diesem Zusammenhang auf den amerikanischen Historiker Harold James, der die anfängliche Schuldenübernahme durch den Bund als Sprengstoff für die Fiskalunion und letztlich als Ursache des Bürgerkriegs eingestuft hat.
Überforderung der Zahlerländer droht
Amerika ist ein Lehrstück für Europa, wie Sinn in seinem neusten Buch „Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel“ auf mehr als 500 Seiten ausführlich begründet. Er analysiert den Riss, der nun auf dem alten Kontinent den Süden vom Norden der Währungsunion trennt. Dabei geht es nicht nur um hohe Staatsschulden und hektisch geschnürte Rettungspakete, sondern auch um die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer. Damit ihre Wirtschaft wieder Tritt fassen kann, müssen dort die Preise und Löhne im Vergleich zu den übrigen Euroländern sinken.
Wie der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung hervorhebt, ist dies bisher allenfalls in Ansätzen geschehen. Griechenland habe etwa um 6 Prozent abgewertet, notwendig seien wohl 30 Prozent. Stattdessen habe man Rettungspakete geschnürt. Indem man die Zinssätze gesenkt und die Laufzeit der Kredite verlängert habe, sei die Grenze zu Transferzahlungen verwischt worden. Damit ist in seinen Augen eine große Gefahr verbunden: Die Empfängerländer wurschteln sich weiter durch, die Lösung der tiefer liegenden Probleme wird verschleppt. „Es wird eine ewige Hängepartie mit hoher Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit der Bevölkerung.“ Zugleich droht eine Überforderung der Zahlerländer. Er warnt vor dem blinden Hineinlaufen in eine Verschuldungslawine und davor, dass „sich am Ende alle einander die Köpfe einschlagen“.
Die Amerikaner haben aus ihrer frühen Staatskrise die Lehre gezogen, dass weder der Bund noch die Notenbank für die Schulden eines Bundesstaats einspringt. Sinn hält dies für den einzig richtigen Weg. Damit werde sich jeder genau überlegen, ob er einem hochverschuldeten Staat noch Kredit gewährt. Der Kapitalmarkt verhindert damit, dass zu viele Schulden auf Kosten anderer gemacht werden. Den Europäern rät er, sich daran zu orientieren. Zugleich will er den Ländern des Euroraums die Möglichkeit einräumen, in einer Krise für eine gewisse Zeit aus dem Eurosystem auszuscheiden. Dann könnten sie abwerten, um ihrer Wirtschaft Luft zu verschaffen. Er spricht von der atmenden Währungsunion.
Ende März wird der mittlerweile 67 Jahre alte Ökonom beim Ifo-Institut ausscheiden. Sein neuestes Buch, das zunächst auf Englisch erschienen ist, bezeichnet er selbst als Versuch, sein über die Jahre gesammeltes Wissen zusammenzufassen. Man findet daher dort vieles, was Sinn schon früher einmal zur Euro-Krise geschrieben hat. Aber das Ganze ist flott geschrieben – und zwar so, dass es auch Nichtökonomen lesen und verstehen können. Es ist ein Aufschrei zum Abschied.