Sinn und Bofinger rechnen mit den Ursachen der Finanzkrise ab - Der eine gründlich, der andere essayistisch
THOMAS HANKE | BERLIN Die beiden trennt mehr als eine gesunde Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern: Peter Bofinger, der in Würzburg VWL lehrt und Mitglied des Sachverständigenrates ist, gilt als "der Linke", Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, dagegen als "der Neoliberale". Umso überraschender, dass sie in ihren am selben Tag vorgestellten Büchern über die Krise in vielen wichtigen Punkten übereinstimmen: Die Gemeinsamkeiten passen so gar nicht zum jeweiligen Image.
Die größte Schnittmenge gibt es bei der Ursachenforschung. Weder Sinn noch Bofinger verfallen auf simple Giermotive. Sie kritisieren die ganz legalen Möglichkeiten der Banken, ein viel zu großes Rad zu drehen. Die ungenügende Eigenkapitalausstattung sehen sie als die Kernursache der Krise an. Und übereinstimmend räumen sie ein, dass fatalerweise mit den Bewertungsregeln von Basel II in jahrelanger Feinarbeit ein System entstand, das den Hebel der Banken noch vergrößerte: weil "Risikogewichtung" oft bedeutete, Gefahren zu verharmlosen.
Hart gehen sie auch mit der Verbriefungspraxis ins Gericht, die Risiken weiter verschleiert und über die ganze Welt verteilt habe. In diesem Zusammenhang rechnen sie auch mit den Ratingagenturen ab - und mit dem Staat, der seine Aufsichtskompetenz teilweise an sie abgetreten habe.
Auch im Hinblick auf die Realwirtschaft gibt es Übereinstimmung: Beide lehnen es ab, unter dem Vorwand der Finanzkrise Unternehmen mit staatlichen Beihilfen durchzufüttern, die schon vorher Probleme hatten oder ein falsches Geschäftsmodell aufweisen: Wenn Investoren auf diese Weise herausgekauft würden, entstünden gefährliche Fehlanreize, die zur Schwächung der Marktwirtschaft führen.
Mit großem Erstaunen liest man, dass auch Sinn die eigentliche Lösung der akuten Bankenkrise weder in staatlichen Bürgschaften noch in Bad-Bank-Modellen sieht, sondern in einer staatlichen Beteiligung, um den Banken wieder ein angemessenes Eigenkapital zu verschaffen. Den angelsächsischen Weg, Banken notfalls dazu zu zwingen, hält er für richtig, die deutsche Politik drücke sich ängstlich um diese Konsequenz herum - "vielleicht nur wegen der Wahlen", vermutet er.
Trotz aller Übereinstimmung: Die beiden Bücher trennen Welten. Sinn legt eine minutiös recherchierte, mit vielen Statistiken untermauerte, aber äußerst lesbare und verständliche Analyse der Finanzkrise vor. Er kritisiert dabei auch den "Laschheitswettbewerb", mit dem die Staaten die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre begünstigt hätten, und mokiert sich über das "Glücksrittertum", dem die Banken gefrönt hätten. Dabei pflegt er einen unterkühlt-ironischen Ton, lässt Fakten gegen die Laschen wie auch gegen die Glücksritter sprechen. Seine Kritik trifft umso härter, weil er durch und durch Marktwirtschaftler ist.
Sinns Diagnose ist rabenschwarz: Bisher sei nur ein Viertel des Weges zurückgelegt, was notwendige Abschreibungen angehe, das US-Bankensystem sei pleite. Schroff geht er auch mit der Deutschen Bank um: Deren Eigenkapital sei viel zu niedrig, sie stehe schlechter da als große europäische Wettbewerber.
Sinn diskutiert, welche Antworten auf die Finanzkrise sinnvoll oder unsinnig seien. Dabei vermisst man aber eine Bewertung dessen, was an Re-Regulierung international und europäisch schon absehbar ist. Bei der Buchvorstellung holte er sein Urteil nach: "Das Kasino wird nur renoviert. Ich würde es schließen."
Eine Schwäche seines Buches ist, dass die Finanzkrise weitgehend als Folge einer mechanischen Fehlkonstruktion daherkommt. Wie aber kam es zu einem Klima, in dem jeder Vorschlag einer besseren Regulierung chancenlos war? Im Gespräch beklagt Sinn sich darüber, doch im Buch spielt das keine Rolle.
Bofinger legt eine eher essayistische Darstellung der Krise vor. Für ihn ist der Zusammenbruch des Finanzsystems der Aufhänger, um sich der "Strategie der Entstaatlichung" zu widmen. Sie sei das eigentliche Problem und drohe die Soziale Marktwirtschaft zu zerstören. Ziemlich unvermittelt springt Bofinger von der Finanzkrise zu Forderungen wie denen nach einer gerechteren Einkommensverteilung, Mindestlöhnen und einer insgesamt stärkeren Rolle des Staates.
Hier liegt nicht nur der Gegensatz zu Sinn, der mit der ihm eigenen Stringenz nachweist, dass nicht mehr oder weniger Staat, sondern die angemessene Regulierung das Thema ist. Bofinger versteigt sich auch zu skurrilen Thesen wie der, in Deutschland habe man über Jahre hinweg die Politik von Margaret Thatcher verfolgt und in "kaum einem anderen Land" sei der Staat "so zurückgedrängt worden wie in Deutschland." Man liest's und wundert sich.