Banker zweifeln an Basar-Ökonomie

Presseecho, Financial Times Deutschland, 16.07.2004, 16

AUSREISSER DER WOCHE

Die Exporte boomen, doch die deutsche Binnennachfrage schwächelt. Liegt es daran, dass in Deutschland nur noch Waren zusammengesetzt werden, die im Ausland produziert wurden? Morgan Stanley hat nachgerechnet - und äußert Zweifel.

"Der Cayenne, den Porsche nach Amerika liefert, steht mit seinem vollen Wert in der deutschen Exportstatistik, aber in Leipzig wird kaum mehr als Getriebe und Lenkung eingebaut, so die These des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn. Deutschland verkomme allmählich zu einer Basar-Ökonomie - einem Handelsstandort, von dem aus im Ausland hergestellte Waren unter deutschem Label verkauft würden.

Als Beleg für seine Argumentation verweist Sinn auf die Entwicklung von Industrieproduktion und Bruttowertschöpfung. Der zunehmende Bezug von Vorprodukten aus dem Ausland führe dazu, dass die Industrieproduktion aufgebläht wird, weil die Statistiker ausländische Vorprodukte mitzählen. Die Wertschöpfung, also die echte Produktion in Deutschland, steige hingegen nicht im selben Ausmaß. Das Band zwischen Export und Arbeitsmarkt zerreißt. Konservative Politiker und Ökonomen zitieren den Münchner Experten derzeit ausgiebig, um zu belegen, dass es mit der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands trotz Exportweltmeistertitels nicht weit her ist. Die Gegenseite weist die Thesen Sinns ebenso heftig zurück. Die Investmentbanker haben jetzt ihre Computer angeworfen und lassen die Zahlen sprechen. Wie Morgan Stanley feststellt, ist die Industrieproduktion in den 90er Jahren - wie im Übrigen in anderen Ländern auch - in der Tat schneller gestiegen als die Wertschöpfung. Seit einigen Jahren laufen die beiden Größen aber wieder parallel - der Abstand verringert sich zeitweise sogar. Ursache sei "die Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands seit dem Ende der 90er Jahre", vermuten die Experten. "Es gibt keinen Grund, warum die Wertschöpfung dauerhaft hinter dem Wachstum der Industrieproduktion zurückbleiben soll." Auch deute das Auseinanderklaffen von Erzeugung und Wertschöpfung nicht notwendig auf eine Abwanderung von Produktion ins Ausland. Sie könne zumindest zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass Leistungen in andere Wirtschaftssektoren im Inland verlagert werden, die nicht in den Industrieproduktionsdaten erfasst werden. Darauf deutet laut Morgan Stanley, dass sich Exportwachstum und Geschäftstätigkeit im Dienstleistungssektor immer mehr annähern. Deutschlands Ausfuhren enthalten heute einen größeren Anteil von im Dienstleistungssektor erwirtschafteten Leistungen als noch vor zehn Jahren. Auch der Anteil der Importe an den Ausfuhren sei vor allem in den 90er Jahren gestiegen und habe sich inzwischen stabilisiert - "wenn überhaupt, dann nimmt der Anteil einheimischer Produktion wieder zu". Der Trend zur Auslagerung sei ein Phänomen der 90er Jahre. "Wir glauben nicht, dass dies ein Faktor ist, der die aktuelle Konjunkturerholung gefährdet." Mark Schieritz