Die Öffentlichkeit hat die Ökonomen Peter Bofinger und Hans-Werner Sinn lange als Antipoden wahrgenommen. Jetzt in der Krise zeigt sich: Es eint sie mehr, als sie trennt H ans-Werner Sinn und Peter Bofinger: Kaum ein anderes Ökonomenpaar symbolisiert den Streit um die Probleme der deutschen Wirtschaft so sehr wie diese beiden Medienstars. Während Sinn in den vergangenen Jahren mit seiner These der Basarökonomie immer wieder vermeintliche Schwächen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit anprangerte und Lohnsenkungen und Sozialabbau forderte, beharrte Bofinger darauf, dass Deutschlands Löhne, Staatsausgaben und Steuern in Wirklichkeit zu niedrig seien.
So hätte man eigentlich erwarten können, dass die beiden Bücher zur Finanzkrise von Bofinger und Sinn, die dieser Tage im Econ Verlag erscheinen, auch gegensätzliche Krisenerklärungen bieten würden. Tatsächlich aber liegen die zwei Volkswirte in vielen Teilen erstaunlich eng beieinander.
Beide fordern den beherzten Einstieg des Staates in Problembanken bis zur kompletten staatlichen Übernahme, um eine Subventionierung der Bankaktionäre zu vermeiden. Beide unterstützen in der aktuellen Situation Konjunkturpakete, um nach der Lehre des Briten John Maynard Keynes die Wirtschaft anzukurbeln. Ebenfalls einig sind sich die beiden, dass die als Basel II bekannten Eigenkapitalregeln für Banken reformiert werden müssen.
Trotzdem sind die Bücher sehr unterschiedlich. Hans-Werner Sinn konzentriert sich auf eine Analyse der Krise. Anders als bei seinen umstrittenen Arbeiten zur Basarökonomie baut der Chef des Münchner Ifo-Instituts hier auf seine jahrelangen und qualitativ hochwertigen Forschungen. Dementsprechend überzeugend sind seine Ausführungen zu den Anreizproblemen im Finanzsektor, die zur Krise geführt haben. Ebenso aufschlussreich sind Sinns Einwände gegen einen Regulierungswettbewerb zwischen den Staaten.
Dabei mag man nicht alle Details der Analyse teilen. Die Kritik an der Kreditförderpolitik der Clinton-Regierung als wichtige Ursache der Krise scheint reichlich überzogen. Trotzdem ist Sinns Analyse wohl die am leichtesten lesbare und beste populärwissenschaftliche Darstellung der Finanzkrise, die bislang auf Deutsch erschienen ist.
Anders als Sinns Werk nimmt Bofingers Buch die Finanzkrise vor allem als Aufhänger, um ein vernichtendes Urteil über die deutsche Wirtschaftspolitik des vergangenen Jahrzehnts zu fällen. Die Analyse des US-Hypothekenmarkts und der Anreizstrukturen im Finanzsektor werden deshalb auch nur auf wenigen Seiten abgehandelt. Danach holt er aus, um zu kritisieren, dass die Wirtschaftspolitik zu einer Unzufriedenheit der breiten Masse mit dem derzeitigen System geführt habe. Die Menschen hätten das Gefühl, von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht zu profitieren. Die soziale Marktwirtschaft, aber auch der Staat an sich verliere deshalb zunehmend Legitimation.
Als Gegenmaßnahme schlägt Bofinger vor allem ein Umdenken bei der Rolle des Staates vor. Der Staat müsse in der öffentlichen Debatte wieder positiv besetzt werden. Dazu müssten Politiker offensiver darüber informieren, für was sie öffentliche Gelder einsetzen. Gleichzeitig müsse die Gerechtigkeitslücke im Steuer- und Abgabensystem geschlossen werden: Höhere Erbschaft- und Einkommensteuern für Reiche, Mindestlöhne und Niedriglohnsubventionen für die Armen.
Trotz der Einigkeit in breiten Teilen der Analyse schlagen im Rest der Bücher dann wieder die unterschiedlichen ideologischen Richtungen Bofingers und Sinns durch: Sinn kann es nicht lassen, wieder den Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands als Zeichen einer Standortschwäche zu interpretieren. Bofinger dagegen interpretiert den gleichen Überschuss als Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit.
Ähnlich sieht es bei den Steuern aus: Während Bofinger anführt, dass heute der deutsche Staat gemessen am Bruttoinlandsprodukt weniger Ausgaben habe als der britische, und deshalb höhere Steuern empfiehlt, fordert Sinn Steuersenkungen, um die „Staatseinnahmen wieder auf das normale Maß zurückzustutzen“. Und während Bofinger in seinem Buch vor der Angst der Politiker vor dem bösen Wort „Verstaatlichung“ warnt, unternahm Sinn gestern bei der Vorstellung seines Buches in Berlin semantische Klimmzüge, um zu belegen, dass auch eine komplette Übernahme aller Aktien und der Kontrolle von Problembanken durch den Staat keine „Verstaatlichung“ sei.
Überraschend bleibt die unterschiedliche Analyse der Rolle der Geldpolitik in der Krise. Während der bekennende Keynesianer Bofinger den niedrigen Zinsen der amerikanischen Notenbank ab 2001 eine deutliche Mitschuld gibt, verteidigt Sinn den Ex-Notenbankchef Alan Greenspan.
So bleibt am Ende doch noch genug Dissens zwischen Sinn und Bofinger übrig, um in den kommenden Monaten für Stoff von Podiumsdiskussionen und Talkshows zu sorgen.
Von Sebastian Dullien, Berlin