Deutsche Ökonomen um den Ifo-Chef Hans-Werner Sinn rebellieren gegen die Euro-Retter. Sie appellieren an Kanzlerin und Bürger, die Bankenunion zu stoppen, die beim EU-Gipfel vorangetrieben wurde. "Unserer Wirtschaft droht Gefahr."
Hamburg - Die Euro-Rettung schadet Deutschland - diese These vertritt Hans-Werner Sinn schon länger. Nun aber forciert er seinen Widerstand. Zusammen mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern plant der Ökonom einen öffentlichen Aufruf gegen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Diese seien falsch, heißt es in einem Entwurf, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Weiter heißt es darin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei auf dem Brüsseler Gipfel am vergangenen Donnerstag und Freitag zur Zustimmung zu den Beschlüssen "gezwungen" worden.
Sinn ist Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Immer wieder warnt er, dass die Bundesbank auf Forderungen von 500 Milliarden Euro an andere Notenbanken sitzenbleiben könnte, falls die europäische Währungsunion zerbreche. "Wir sitzen in der Falle", sagt Sinn.
Diese Sicht der Dinge hat Sinn bisher meist als Einzelmeinung vorgetragen. Dass er seinen Protest nun in Form einer konzertierten Aktion gemeinsam mit anderen Ökonomen organisiert, verleiht der Sache jedoch deutlich mehr Gewicht.
In dem Entwurf des Appells warnen die Wissenschaftler besonders vor der geplanten europäischen Bankenunion. Diese bedeute eine "kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Euro-Systems". Da diese fast dreimal so groß seien wie die Staatsschulden, sei es "schlechterdings unmöglich, die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas für die Absicherung dieser Schulden in die Haftung zu nehmen".
"Das war der Tropfen, der Fass zum Überlaufen brachte"
Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören neben Sinn auch der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen und Klaus Zimmermann, der frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Als Initiator tritt neben Sinn der Dortmunder Statistiker Walter Krämer auf. Er sagte SPIEGEL ONLINE auf Anfrage, Sinn und er hätten sich über die Ergebnisse des Euro-Gipfels dermaßen geärgert, dass sie den Entschluss zu einem öffentlichen Appell fassten. Dieser richte sich vor allem gegen die Bankenunion. "Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte." Es müsse auch in Zukunft möglich sein, dass marode Banken pleitegehen. Sinn selbst war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Bislang haben 160 Wissenschaftler den Aufruf unterzeichnet.
Die EU-Pläne sehen unter anderem vor, Banken direkt aus dem Rettungsfonds ESM zu rekapitalisieren. Auch eine gemeinsame Einlagensicherung wird diskutiert. Zugleich sollen die Geldinstitute durch eine europaweite Aufsicht besser überwacht werden. Sinn und seine Mitstreiter glauben aber nicht, dass sich die Risiken auf diese Weise unter Kontrolle halten lassen.
Die Begründung: Die Schuldnerländer verfügten über eine "strukturelle Mehrheit" im Euro-Raum. "Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder von neuem Pressionen ausgesetzt sein, diese Summen zu vergrößern", heißt es in dem Entwurf. "Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Noch unsere Kinder und Enkel werden darunter leiden."
In der endgültigen Fassung des Appells ist diese Warnung nicht mehr enthalten. Auch die Kritik an Merkel wurde abgeschwächt. Im ersten Satz schreiben Sinn und Co. nun, "die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel gezwungen sah", seien falsch.
Der Text endet mit einem Appell an die Bürger: "Bitte tragen Sie diese Sorgen den Abgeordneten Ihres Wahlkreises vor; unsere Volksvertreter sollen wissen, welche Gefahren unserer Wirtschaft drohen."