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“Wenn man aufhört, den Austritt aus der Euro-Union als Weltuntergang zu deklarieren, und ihn auf die Ebene der praktischen Politik zurückholt, lässt er sich beherrschen und zum Wohle der Mehrheit der Beteiligten gestalten, vielleicht mit Ausnahme des Wohles einiger Spekulanten. Er würde den Zusammenhalt Europas und die Basis für das friedliche Zusammenleben seiner Völker verstärken”.
Der Rezensent kennt keinen Wirtschaftswissenschaftler, der sich mit so viel Engagement und Scharfsinn dem Euro-Problem gewidmet hat als Hans-Werner Sinn. Dabei setzt sich Sinn erfreulicherweise nicht in den berüchtigten Elfenbeintum der Wissenschaft, fernab von den praktischen politischen und wirtschaftlichen Welt. Eher sucht er die Debatte, die Kontroverse und die Öffentlichkeit. Diese Mischung von wissenschaftlicher Seriosität und der Lust am öffentlichen Diskurs macht alle Bücher von Sinn spannend und überzeugend.
Mit seiner jüngsten Publikation ist ihm nun der große Wurf gelungen, sein Lieblingsthema, den Euro, umfassend und konzis zu thematisieren. Im analytischen Teil des Buches fasst Sinn zusammen, was er bereits in verschiedenen anderen Publikationen präsentiert hat: Die großen und wie sich später herausgestellt hat, übersteigerten Erwartungen und Hoffnungen, die man auf die neue Währung bei ihrer Einführung projiziert hat: Sie sollte Einheit, Frieden und Wohlstand für ein vereintes Europa bringen. Fünfzehn Jahre später ist die Eurozone ein Scherbenhaufen und stolpert von Krise zu Krise. Die ArbeitslosEndzahlen in Spanien und Griechenland sind auf 30% gestiegen, ein Niveau, das es zuletzt während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren gegeben hat; die Jugendarbeitslosigkeit liegt in diesen Ländern sogar bei 60%, in Italien immerhin bei 40%. Der Euro hat auch mitnichten die EU friedlicher gemacht. Stattdessen werden mit jeder Währungkrise die Gräben zwischen den Staaten tiefer, die politischen Debatten gereizter und nationalistische rechtsextreme Parteien erhalten überall in Europa bedrohlichen Zulauf.
Durch das Platzen der Immobilienblase und die Bankenkrise setzte in der EU das ein, was Sinn den “Rettungswahn” nennt: Mit immer tollkühneren Konstrukten wird das gesamte Rettungs-Risiko den Steuerzahlern der noch gesunden europäischen Ländern aufgeladen, die am Ende die Rechnung zahlen müssen, obwohl der Maastricht-Vertrag ausdrücklich dies verbietet. Da dies z.Zt. aber ein Zustand möglicher Haftung, hat die öffentliche Debatte diese fatale Bedrohung noch nicht voll erkannt. Nach allerhand Interventionen der EZB, die eher punktuellen Feuerwehreinsätzen ähnelten, ist die EZB-Politik nun beim Aufkauf von Staatspapieren und dem Anwerfen der Notenpresse angelangt, beides auf reichlich verschlungenen Pfaden, um die Öffentlichkeit im Unklaren zu lassen und kritischen Juristen keine Argumente zu liefern. Dies alles im diamentralen Widerspruch zum Bail Out Verbot laut EGV-Vertrag und zum Stabilitätspakt.
Angesichts dieser Problemstellung ist das Plädoyer von Sinn zwingend: Außer Schuldenschnitte für einige südeuropäische Ländern müssen diese die Möglichkeit bekommen, temporär aus der Währungsunion auszutreten und ihre Währung abzuwerten, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen. Wie groß die wirtschaftlichen Strukturprobleme dieser Länder inzwischen sind, illustriert z.B. die Tatsache, dass das Lohnniveau Spaniens mehr als dreimal so hoch ist und das von Griechenland und Portugal fast doppelt so hoch wie die polnischen Löhne. Solch eine Wettbewerbsverzerrung kann auf die Dauer nicht gut gehen. Ein solcher zeitweiliger Austritt aus der Eurozone und die Abwertung der dann neuen Währungen darf zwar nicht als externe Drohpolitik vollzogen werden, es darf aber auch kein Tabu sein, denn der Maastrichter Vertrag sieht keine Alimentierung nicht wettbewerbsfähiger Staaten vor. Die bisherige angebliche Rettungspolitik der EZB nützt den alimentierten Staaten nicht: Die Vermögenden werden dort von Verlusten geschützt, aber die große Masse der (jungen) Arbeitslosen sind die Leidtragenden dieser Politik.
Natürlich ist es für Sinn klar, dass ein solches Austreten aus der Euro-Zone in geordneter Form verlaufen muss. Das kann am besten durch eine flexible Euro-Union erfolgen, bei der Staaten je nach Notwendigkeit aus der Währungszone austreten können, aber eine assoziative Mitgliedschaft behalten und bei Gelegenheit auch wieder in den Euro-Raum eintreten können. Spielt man diese “atmende” Euro-Union beispielhaft für Griechenland durch, würden sich folgende positive Konsequenzen für die griechische Wirtschaft ergeben: Erstens würde im Ausland geparktes griechisches Vermögen wieder ins Land kommen um dort zu günstigen Bedingungen zu investieren. Zweitens würde sich der Konsum der heimischen Bevölkerung wieder auf preiswerte einheimische Produkte konzentrieren. Und drittens würde Griechenland wieder als Touristenland attraktiv.
Sinn resümiert: “Ein Gebäude, das nur einen Eingang aber keinen Ausgang hat, ist ein Gefängnis. Der Euro hat sich für die südeuropäischen Länder zu einem solchen Gefängnis verwandelt. Diese Länder wurden durch niedrige Zinsen hineingelockt, erfreuten sich vorübergehend eines dynamischen Wachstums und gerieten dann in eine inflationäre Kreditblase, die sie ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte. Nun stehen sie vor dem gewaltigen und kaum lösbaren Problem, die notwendige reale Abwertung auf den Weg zu bringen. Eine atmende Währungsunion würde den Charakter des Eurogebäudes grundlegend ändern und aus ihm einen Ort machen, in dem man sich gerne aufhält und dessen Bewohner in Frieden miteinandner auskommen.”
Das Buch von Sinn ist ein rundum eindrucksvolles Werk. Präzise geschrieben, mit einer Vielzahl von Statistiken illustriert und mit einer enormen Fülle von Belegen versehen ermöglicht es einen fantastischen Einblick in die Euro-Misere, wie sie entstand, wie sie durch die angebliche “Rettungspolitik” der EZB vertieft und prolongiert wurde und wird und welche Möglichkeiten es gibt aus dieser gefährlichen Sackgase wieder herauszukommen.
Wer den Euro verstehen will, kommt - auch als Laie - an diesem Buch nicht vorbei und sollte sich auch nicht durch dessen Volumen der über 500 Seiten abschrecken lassen, da man die Argumentation Sinns auch gut gestrafft verstehen kann, ohne in alle präsentierten Details einsteigen zu müssen.
Rezension von Dr. Burkhard Luber