Konkurrierende Aufrufe von Wirtschaftswissenschaftern zum Weg in eine Bankenunion
In Deutschland hat sich eine Debatte zwischen zwei Lagern von Ökonomen entwickelt, die mit Aufrufen gegen bzw. für eine Bankenunion an die Öffentlichkeit getreten sind. Zur Debatte steht etwa die Frage, wieweit Regeln eingehalten werden.
mbe. Berlin Die deutsche Ökonomenzunft erhält derzeit ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Führende Vertreter der Wirtschaftswissenschaften trugen in den vergangenen Tagen eine heftige öffentliche Debatte aus, in der es letztlich um die richtige Richtung bei der Euro-Rettung geht. Wie bereits berichtet, lancierten zunächst rund 170 führende Wirtschaftswissenschafter einen Aufruf an die Bevölkerung, in dem der am jüngsten Gipfel beschlossene Schritt in Richtung Bankenunion scharf kritisiert wurde. Er bedeute den Einstieg in eine gemeinschaftliche Haftung für Bankschulden im Euro-Raum, die sich auf mehrere Billionen Euro summierten.
Heftige Abwehrreaktionen
Im Gegensatz zu früheren Aufrufen aus dem Lager der Ökonomen folgten sogleich harsche Reaktionen der Politik. Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Rösler warfen den Ökonomen indirekt vor, sie hätten die Beschlüsse des jüngsten Gipfels nicht verstanden, Finanzminister Schäuble sprach von unverantwortlichen «Horrorszenarien», mit denen die Ökonomen die Bevölkerung verunsicherten. Bundestagspräsident Lammert rügte am Wochenende, solche Expertenempfehlungen seien zur Bewältigung der Euro-Schuldenkrise überhaupt nicht hilfreich.
Die Politik stellte sich damit wieder einmal auf den Standpunkt, dass sie solche Warnungen nicht ernst zu nehmen brauche. Das fällt ihr umso leichter, als es auch unter den führenden Ökonomen grosse Meinungsverschiedenheiten gibt. Dem ersten Aufruf, der beispielsweise von Hans-Werner Sinn (München), Kai Konrad (Berlin) oder Charles Blankart (Berlin) getragen wurde, folgten nämlich zwei in die Gegenrichtung weisende Vorstöße.
Eine erste Gruppe um Manfred Neumann (Bonn) oder Michael Hüther (IW Köln) störte sich vor allem an der Art und Weise des Aufrufs; er baue ein Schreckgespenst auf und zeige keine Alternativen auf. Einen gewichtigen Gegenaufruf lancierte zudem ein Zirkel um Martin Hellwig (Bonn) oder Beatrice Weder (Mainz). Die renommierten Ökonomen bezeichneten den Schritt in eine Bankenunion als richtig, dies könne zur Stabilisierung der Euro-Zone beitragen.
In der Medienöffentlichkeit wird der Zwist nun zum Ökonomenstreit hochstilisiert. Bei näherer Betrachtung sind die Gräben, die sich auch durch befreundete Forscherkreise ziehen, aber wohl nicht ganz so tief. So zeigte ein hochkarätig besetztes Symposium in Freiburg Ende vergangener Woche, dass viele deutsche Ökonomen der Idee einer Bankenunion grundsätzlich etwas abgewinnen können.
Beziehung Politik – Ökonomie
Indessen besteht die Gruppe des ersten, von der Personenzahl her am breitesten getragenen Aufrufs eher aus politökonomisch denkenden Ökonomen, denen unter anderem Sinn angehört. Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Politik sind für diese Disziplin von zentraler Bedeutung. Die Hauptsorge dieser Gruppe von Wissenschaftern besteht darin, dass sich in einer Bankenunion die Haftung nicht wird begrenzen lassen, wie dies die Politik glauben machen will. Die soliden Länder wie Deutschland würden sich immer wieder Pressionen ausgesetzt sehen, die Haftungssummen zu vergrössern, heisst es im Aufruf. Tatsächlich zeigt die bisherige Entwicklung in der Euro-Rettung, dass diese Sorge berechtigt ist. Bei der Einführung neuer Regeln muss demnach berücksichtigt werden, welche politische Dynamik sie später auslösen können. Bei der Gruppe des gewichtigen Gegenaufrufs (unter anderem mit Hellwig) handelt es sich hingegen eher um Spezialisten für Banken- und Finanzfragen. Diese Vertreter sehen eine Bankenunion als richtigen Schritt an, um den Teufelskreis zwischen nationalen Schulden- und Bankenkrisen zu durchbrechen. Ein gemeinsamer Währungsraum mit freien Kapitalströmen könne ohne eine europäische Bankenunion nicht sinnvoll funktionieren, steht in ihrem Aufruf zu lesen.
Fragen der Umsetzung
Die Ökonomen sind von der Hoffnung getragen, dass sich die Bankenunion «technisch» richtig wird umsetzen lassen. So betonen sie als wichtige Bedingung, es dürfe keinesfalls zu einer Vergemeinschaftung von Bankschulden kommen. Vielmehr gehe es darum, eine schlagkräftige europaweite Bankenaufsicht und für den Fall von Insolvenz wirksame Abwicklungsregeln für Finanzinstitute einzuführen. Letzterem dürfte auch das andere, zuerst an die Öffentlichkeit getretene Lager in der Debatte zustimmen können. Allerdings teilen die Initiatoren des ursprünglichen Aufrufs die Hoffnung nicht, dass es den Politikern vorrangig um «effiziente» Regeln und nicht um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Risiken durch die Hintertür geht. Diese Warnung erscheint vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen nicht abwegig; diese sollte die deutsche Regierung tatsächlich ernst nehmen.