Der Ifo-Chef beim Augsburger Konjunkturgespräch: Wir hoffen auf den Aufschwung, dabei ist er längst vorbei
Hans-Werner Sinn, der den Beinamen "Konjunktur-Papst" trägt, ist bekannt für schonungslose Analysen. Mit dem Begriff "Basarökonomie" beschrieb der Präsident des Münchner Ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung beim 31. Augsburger Konjunkturgespräche die deutsche Volkswirtschaft.
Was er damit meint? Sinn: "Der Porsche Cayenne kommt angeblich aus Leipzig. Tatsächlich wird er zu 88 Prozent in Bratislava produziert. Nur 12 Prozent der Wertschöpfung verbleiben in Deutschland. Dann exportieren wir den Cayenne nach Amerika - und der füllt zu 100 Prozent unsere Exportstatistik." Deutschland, das über die reichste Produktpalette der Welt verfügt, beschränkt sich auf Transfer-Aktivitäten, kritisierte Sinn vor Unternehmen in der Industrie- und Handelskammer Schwaben. 60 Prozent des deutschen Mittelstandes sei außerhalb der EU aufgestellt; etwa vier Millionen Jobs würden im Ausland unterhalten. Eigentlich sei das ja eine gute Sache: Deutschland gibt "dreckige" Industriearbeitsplätze ans Ausland ab, um sich im Inland auf den an spruchsvolleren und lukrativeren Dienstleistungssektor zu konzentrieren. Nur hat das eben nicht funktioniert: Die 1,3 Millionen Vollzeitjobs, die das produzieren de Gewerbe in den letzten zehn Jahren verloren hat, schlagen sich nicht in neuen Berufen, sondern 1:1 in der Arbeitslosenstatistik nieder. "Das ist der Strukturwandel in Deutschland", sagte Sinn, "der Arbeitsmarkt ist dafür der Test. Und dieser Test geht schief." Die deutschen Unternehmen seien wettbewerbsfähig, die deutschen Arbeitnehmer nicht. Nur durch "Lohnflexibilisierung" könne dieser Trend gestoppt werden.
Der Schlüssel für den Erfolg einer Volkswirtschaft ist für Sinn, "dass alle Menschen arbeiten". Von den zwei Millionen Sozialhilfeempfängern, "die die Politik für nicht arbeitsfähig hält", kann nach Sinns Ansicht mindestens die Hälfte aktiviert werden. Sinn: "Von denen liegt nur ein Bruchteil im Bett und kann wirklich nichts tun." Auch auf Hartz-IV-Arbeitslose will Sinn den Druck erhöhen, eine Beschäftigung anzunehmen. Er fordert: Runter mit den Regelsätzen, rauf mit dem Zuverdienst. "Von jedem dazuverdienten Euro bleiben den Menschen bislang nur elf bis 20 Cent übrig." Hartz IV bringt eine "Verdrängungskaskade am Arbeitsmarkt", sagte Sinn: Ingenieure arbeiteten als Facharbeiter, Facharbeiter als Hilfsarbeiter. "Und ganz unten werden die Leute rausgedrängt."
Verhalten optimistisch äußerte sich Sinn zu den Konjunktur-Aussichten für 2005. Bislang rechnet das lfo-lnstitut mit 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum. Betrachtet man allein das äußert schwache Schlussquartal 2004, müsste diese Prognose eigentlich auf 0,9 Prozent revidiert werden, sagte Sinn, "Aber das machen wir jetzt noch nicht."
Er sehe auch Lichtblicke: So ist der Auftragseingang im Dezember sprunghaft angestiegen, und auch die Binnennachfrage zieht an. Der Boom aber sei bereits durch, sagte Sinn. "Man mag das aus deutscher Sicht kaum glauben: Wir hoffen, dass der Aufschwung kommt, Dabei ist er längst vorbei."