Sachsen Industrieförderung gilt als vorbildlich. Die Wirtschaft fürchtet aber einen Mangel an Fachkräften. Den will die Landesregierung nun verhindern, mit gezielter Ausbildung und der Betreuung von Werkstudenten
Mit Hilfe der Wirtschaftsförderung und geschicktem Marketing ist es Sachsen gelungen, seine jahrhundertealte Tradition der Luxusmanufakturen wiederzubeleben. Alte Marken wie Meissener Porzellan und Glashütte sind wieder weltweit ein Begriff, neue Marken etabliert.
Die Ursprünge der Manufakturen gehen auf Sachsens kunstsinnigen Herrscher August den Starken zurück, der vor 300 Jahren Spezialisten sich scharte, um seinen Bedarf an repräsentativen Gegenständen zu stillen und Sachsens Wirtschaftskraft zu beleben. Viele der damals entstandenen Werke gelten heute als Schätze.
Sie sind aber nicht nur historisch bedeutsam. Für Sebastian Turner, Vorstandschef der Scholz-&-Friends-Gruppe, haben sie einen ganz aktuellen Bezug: „Die Luxusnachfrage des Hofes, die Porzellan- und Feinuhrmacher antrieb, war im Prinzip die Keimzelle für die Feinmechanik und Optik von Ernemann, für den Computerbau der DDR und die heutige Chipfertigung", erklärte er kürzlich im Interview mit der „Sächsischen Zeitung". Die Reinräume der Chiphersteller Infineon und AMD sind für ihn nur ein logischer Schritt in dieser Entwicklung. Und ein sehr erfolgreicher. Sind es doch nicht nur die großen Hersteller, die in Sachsen Hightech entwickeln. Das Netzwerk „Silicon Saxony" hat 200 Mitglieder, die 17000 Menschen beschäftigen und einen jährlichen Umsatz von 3 Mrd. € erwirtschaften.
Motor der sächsischen Wirtschaft bleibt aber die Automobilindustrie: VW montiert in Chemnitz Passat und Golf, Porsche baut in Leipzig den Cayenne und BMW die 3er-Reihe. Die Autobauer zogen zahlreiche Zulieferer an, sodass die Branche inzwischen 60 000 Beschäftigte hat. Die erwirtschaften fast die Hälfte des erwirtschaften fast die Hälfte des sächsischen Exports.
Zweitgrößte Wirtschaftskraft im Lande ist das Ernährungsgewerbe mit 6 Mrd. € Umsatz und 25 000 Beschäftigten. Schon August der Starke, ganz Genussmensch, hatte den Weinbau gefördert. Während sächsischer Wein heute eine kleine, teure Spezialität ist, bringen Massengüter- wie Lichtenauer Mineralwasser, Radeberger Bier und vor allem Sachsenmilch beachtlichen Umsatz.
In jüngster Zeit haben die Wirtschaftsförderer zwei weitere Branchen im Visier: Logistik und Biotechnologie. Zu „Biosaxony" gehören derzeit 150 Biotech- und Pharmauntemehmen mit 5800 Mitarbeitern. So siedelte die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihren ersten Sonderforschungsbereich für Stammzellforschung in Dresden an, wo schon das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik arbeitet.
Aber auch als Reiseland ist Sachsen gefragt. Unesco-Weltkulturerbe-Titel und Frauenkirche brachten Dresden 2005 einen Besucheransturm, der maßgeblich zum dritten Rekordjahr mit insgesamt 5,6 Millionen Übernachtungsgästen beitrug. Die Zahl der Übernachtungen von Amerikanern stieg im Vergleich zum Vorjahr um 13,2 Prozent, von Japanern sogar um 23 Prozent. Mit neuen Kampagnen will die Tourismuswirtschaft mittelfristig vor allem wieder mehr westdeutsche Gäste nach Sachsen locken. Deren Zahl blieb 2005 konstant.
„It's all about people", wird AME gern zitiert, wenn es um die Ansiedlung in Sachsen geht. Ein Teil des sächsischen Erfolgs liegt in der Industrietradition des Landes. „Eine Chipfabrik wäre nach der Wende nicht nach Rostock gegangen, denn die Mikroelektronik-Experten saßen in Dresden und nicht in Rostock", sagt Marcel Thum, Chef der Dresdner Niederlassung des Ifo- Instituts für Wirtschaftsforschung. „Leuchtturmpolitik" und „solide Finanzen" nennt er, wenn er gefragt wird, wodurch Sachsen sich von seinen ostdeutschen Nachbarn abhebt.
Die Landesregierung hat ihre Fördergelder auf einzelne Industrien konzentriert: Milliarden Euro staatlicher Unterstützung flössen in die Fabriken von VW, BMW und AMD. Das schmälerte jedoch nicht die Hilfe für die Kleinen. Zwei Drittel der gesamten Zuschüsse des Landes seien seit 1990 an kleine und mittlere Unternehmen gegangen, heißt es im sächsischen Wirtschaftsministerium.
Den Erfolg jedoch brachte erst die Vernetzung von Zulieferern, Großinvestoren und Forschungseinrichtungen. Der Netzwerkgedanke spielt in allen Wirtschaftszweigen eine wichtige Rolle, soll er doch auch das Fehlen von Konzernenzentralen ausgleichen.
Dass Investitionen überhaupt möglich sind, verdankt das Bundesland seinem soliden Haushalt. „Sachsen ist das finanzpolitische Musterland im Osten", lobte die Berteismannstiftung 2005 in ihrem Bundesländer-Ranking. 2004 hatte das Land den niedrigsten Schuldenstand in Deutschland. Dank dieser Politik hatte der Freistaat 2004 die höchste Investitionsquote aller Länder und lag auch bei Wissenschaftsausgaben an der Spitze. Belohnt wird dies mit erheblichen Wachstumsraten. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen 2002 und 2004 um 3,3 Prozent. Nach einem Minus von 0,1 Prozent im vergangenen Jahr soll es nach der Prognose von Ifo Dresden dieses Jahr wieder um 2,1 Prozent zulegen. Auch die Beschäftigungssituation bessert sich langsam. Die Erwerbstätigenquote ist mit 65 Prozent die höchste aller neuen Bundesländer, auch wenn nach wie vor 18,5 Prozent aller Erwerbsfähigen arbeitslos sind.
Die Folge ist Abwanderung. Das verstärkt das Problem, welches in der Zukunft die größte Herausforderung darstellt - die Alterung der Gesellschaft. „Die Zahl der Erwerbspersonen sinkt in Sachsen doppelt so schnell wie die der Wohnbevölkerung. Das ist schon sehr extrem", sagt Ifo-Dresden-Chef Thum. Das bedeutet Fachkräftemangel. Nach Prognosen seines Instituts könnten 2020 100 000 Arbeitskräfte mit Berufsabschluss und 50 000 Hochqualifizierte fehlen. Hier macht sich auch eine Schwäche des Musterlandes bemerkbar: Sachsen gelingt es nicht, jedem Jugendlichen eine betriebliche Ausbildung zu ermöglichen. Wieder heißt eine Antwort: Netzwerke. Das Wirtschaftsministerium unterstützt ein Dutzend Fachkräftenetze, die Ausbildungsplätze aufbauen und Werkstudenten betreuen.
NORA MIETHKE leitet stellvertretend das Wirtschaftsressort der „Sachsischen Zeitung".