Die deutsche Volkswirtschaft ein Basar? In seinem neuen Buch begründet Ifo-Chef Hans-Werner Sinn seine These - mit Erfolg, findet Rolf Ackermann.
Endlich haben die deutschen Ökonomen mal wieder etwas, worüber sie öffentlich lustvoll streiten können. Stein des Anstoßes ist das neue Buch von Ifo-Chef (und WirtschaftsWoche-Kolumnist) Hans-Werner Sinn, "Die Basar-Ökonomie". Darin vertieft er seine umstrittene These, die er schon in seinem Buch "Ist Deutschland noch zu retten?" formuliert hatte, nämlich dass in Deutschland immer weniger Wertschöpfung stattfindet, weil die Unternehmen den Großteil ihrer Produktion ins Ausland verlagern. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. "Sinn verbiegt sich die Welt so lange, bis sie passt", schimpft sein Kollege Klaus Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er wirft Sinn sogar vor, implizit zu Handelsprotektionismus aufzurufen.
Sinns Basar-These läuft im Grunde darauf hinaus, dass in Deutschland im Extremfall nur noch fertige Teile, die in Polen, Tschechien oder China hergestellt wurden, zusammengeschraubt und mit dem Made-in-Germany-Stempel versehen werden. Die deutsche Wirtschaft verkomme so langsam zu einem Warenumschlagsplatz, auf dem immer weniger produziert wird. Natürlich, räumt Sinn ein, ist das Basar-Bild eine drastische Überspitzung, eine Karikatur. Aber die Indizien, die Sinn vorlegt, belegen eindeutig, dass der Trend in diese Richtung geht - und dass die Karikatur eines Tages Realität zu werden droht, wenn die Politik nicht handelt.
Sinns Warnung ist überzeugend. Wer sich an dem Begriff "Basar" stört, soll das Phänomen eben anders nennen - an den Fakten selbst führt kein Weg vorbei. Eloquent und verständlich belegt der Autor seine These und dringt dabei zum Kern der deutschen Krankheit vor: den zu hohen Lohnkosten. Dass er sich dabei auf die Löhne und Lohnnebenkosten konzentriert und Regulierungen wie den Kündigungsschutz nicht erwähnt, ist allerdings ein kleiner Schönheitsfehler.
Die Aufregung über Sinns These überrascht umso mehr, als vieles an dieser Analyse längst bekannt ist: 30 Jahre verfehlter Lohnpolitik haben dazu geführt, dass Deutschland bei den Lohnkosten weltweit an der Spitze liegt; die Lohnmäßigung der vergangenen Jahre brachte bislang nur wenig Linderung. Weil die Produktivität deutscher Arbeiter im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz längst nicht so viel höher ist wie die Löhne, bedeutet dies einen herben Kostennachteil für die Unternehmen. Sie reagierten darauf, indem sie Arbeiter durch Maschinen ersetzten und Produktion ins Ausland verlagerten. Beschleunigt wurde der Prozess durch die zunehmende Konkurrenz aus Niedriglohnländern. Sinns Zahlen belegen den damit verbundenen Basar-Effekt: Die aus dem Ausland bezogenen Vorleistungen der deutschen Industrie stiegen seit 1991 um 64 Prozent, während die Produktion selbst nur um 26 Prozent zunahm.
Dass das Buch kein weiterer Langweiler über die Globalisierung geworden ist, liegt vor allem an der zugespitzten Basar-These. Mit ihr erklärt Sinn auch den scheinbar paradoxen Umstand, dass Deutschland trotz seiner Lohnkostenprobleme Exportweltmeister ist. Dies belegt keineswegs, wie Gewerkschaften und etliche Wirtschaftswissenschaftler sagen, dass alles in Ordnung ist. Im Gegenteil, meint Sinn: Die Exportstärke ist eine Begleiterscheinung des Basar-Effekts und wird uns eines Tages noch um die Ohren fliegen - "wie beim Verlöschen des Sterns, dem eine Supernova vorausgeht".
Der Grund: Das hohe Lohnniveau in Deutschland zwingt die Wirtschaft, sich auf die kapitalintensiven Exportsektoren zu konzentrieren, weil diese mit den hohen Löhnen noch am besten zurechtkommen. Dort entstehen aber weniger Arbeitsplätze als in den Sektoren, die ihre Wertschöpfung ins Ausland verlagern. "Bei starren Löhnen", folgert Sinn, "ist eine übermäßige Exportentwicklung zusammen mit einer zunehmenden Arbeitslosigkeit und einer Wachstumsschwäche das normale Krankheitsbild eines Landes, das außerstande ist, die Globalisierung zum eigenen Vorteil zu nutzen."
Versteckt sich dahinter ein impliziter Aufruf zum Protektionismus, wie DIW-Chef Zimmermann kritisiert? Mitnichten: Handelsbeschränkungen wären fatal, schreibt Sinn, sie würden "auch die alten Handelsgewinne aufs Spiel setzen, denen Deutschland seinen Wohlstand verdankt". Sinn argumentiert konsequenter als in früheren Aufsätzen, in denen er den Standortwettbewerb mit dem Argument anprangerte, er enge den Handlungsspielraum des Staates ein. Mittlerweile sieht er den schwarzen Peter eindeutig bei der Politik, die für flexiblere Löhne und einen effizienteren Sozialstaat sorgen müsse: "Die Sozialpolitiker müssen erkennen, dass Deutschland seine Verteilungsziele immer nur mit und nie gegen die Gesetze der Marktwirtschaft erreichen kann." Sinns Buch sollte zur Pflichtlektüre für die Seehofers dieser Welt werden.