Neuerscheinungen: Zahlreiche neue Bücher widmen sich dem Fall Deutschland. Und geben Rezepte für den Aufstieg - mit Zutaten wie Fleiß und Pflichterfüllung.
Die neue Bundesregierung steht vor ähnlich schwierigen Aufgaben wie die erste nach Gründung der Bundesrepublik. Starr vor Ruinen steht sie vor einem gewaltigen Scherbenhaufen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute lautet: Deutschland ist ein reiches Land. Es ist die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt. Zwei Meinungen zur Lage der Nation, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten; die erste von Ex-Manager und Ex-BDI Präsident Hans-Olaf Henkel, die zweite von DGB-Boss Michael Sommer. Beide sind nachzulesen in dem Buch. Was jetzt zu tun ist, das der Ullstein Verlag kurz nach der Bundestagswahl druckfrisch zusammengestellt hat. Neben Ökonomen und Wirtschaftsbossen wie Roland Berger, Hans-Werner Sinn und Ludwig Georg Braun kommen Schriftsteller und Medienleute wie Günter Grass und Ulrich Wickert zu Wort. Ihre Beiträge zu der Frage, was sich tun muss, damit Deutschland wieder in Schwung kommt, sind höchst unterschiedlich - und zielen doch alle in die gleiche Richtung: Politik muss ehrlicher werden, muss wieder etwas zum Wohle der Nation bewegen wollen.
Den Mut, zu handeln, fordert auch Rainer Barzel in seinem Buch "Was war, wirkt nach" ein. Als Elder Statesman hat der 81-jährige Ex-CDU-Vorsitzende und frühere Bundestagspräsident die nötige politische Erfahrung, den Weitblick und auch gesunden Optimismus, um mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik Reformen anzumahnen: Ich wünsche allen Kranken in der Welt so viel Kraft zur Gesundung, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland besitzen.
Ist Barzels Buch das eines politisch denkenden Menschen, setzt der Ökonom und Ifo-Chef Hans-Werner Sinn in seinem Buch "Die Basar-Ökonomie" (Econ) auf die Kraft von Wirtschaftsdaten, Statistiken und Säulendiagrammen. Für Sinn ist Deutschland der Kaufladen der Welt, die Drehscheibe des Handels mit Industriegütern - was nicht einmal negativ gemeint ist. Schließlich kann kein anderes Land ein vergleichbares Sortiment an Industriegütern anbieten, von lasergestützten Metallbearbeitungsmaschinen bis zur Schneideanlage für die Flachglasherstellung. Doch viele Produktteile werden im Ausland gefertigt, nach Deutschland verfrachtet und von hier aus wieder ins Ausland verkauft. Outsourcing ist gut für die Exportstatistik, aber schlecht für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum, sagt Sinn. Mit reichlich Zahlen untermauert er seinen Befund und weist seinen Weg aus der Misere: Der Sozialstaat muss reformiert werden, um der internationalen Niedriglohnkonkurrenz Paroli bieten zu können. Der Ifo-Chef plädiert für eine "aktivierende Sozialhilfe", die den Staat erheblich weniger kosten soll und nach dem Motto funktioniert: "Jeder muss arbeiten, und sei es zu einem Hungerlohn, aber wenn das Geld nicht reicht, gibt der Staat etwas hinzu."
Stärkung des Mittelstands
Mit den Schattenseiten der Globalisierung befasst sich der iranisch-deutsche Unternehmer Huschmand Sabet in seinem Buch "Globale Maßlosigkeit" (Patmos). Er tritt für ein neues Wirtschaftsethos und eine Stärkung des Mittelstands ein - für Saber sind kleinere und mittlere Unternehmen die eigentlichen Verlierer der Globalisierung. Zur "Rettung des Mittelstandes" hat er unkonventionelle Ideen: Beispielsweise fordert er Ombudsleute mit weitreichenden Befugnissen, die etwa den Missbrauch des Rechtsstaats durch Banken verhindern sollen.
Dass die deutsche Krise kein aktuelles Phänomen, sondern vor läufiger Endpunkt eines vor langer Zeit begonnenen Abstiegs ist, zeigt das spannend zu lesende Buch "Der Fall Deutschland" (Piper) nach der preisgekrönten ZDF-Dokumentation - ein Titel, der durchaus doppeldeutig zu verstehen ist. Die Autoren gehen der Frage nach, wann die Probleme ihren Anfang nahmen und sie beginnen in der Nachkriegszeit. Ihr Panorama einer Nation in wirtschaftlicher Schieflage setzt sich aus vielen Stimmen von Experten und Zeitzeugen zusammen, die die Epochen bundesdeutscher Geschichte bis zur Gegenwart scharfsinnig und schonungslos analysieren. Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Edzard Reuter, Hilmar Kopper, Franz Steinkühler und Karl Otto Pöhl sind nur einige der illustren Sachverständigen aus Politik und Wirtschaft.
Für Autor Martin Gillo sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zwar ebenfalls alles andere als optimal, doch sieht er auch genügend Freiräume, die Privatleute und Unternehmen für ihre Aktivitäten nutzen können. Der Deutschamerikaner, der nach seiner Managerkarriere beim US-ChiphersteIler AMD zwischen 2002 und 2004 sächsischer Wirtschaftsminister war, plädiert dafür, aus Erfolgsgeschichten zu lernen, amerikanische Tugenden zum Vorbild zu nehmen und sich durch ausbleibende Reformen nicht lähmen zu lassen.
Aus globalem Blickwinkel betrachtet Meinhard Miegel in seinem Buch "Epochenwende" die Situation der westlichen Industriestaaten. Der renommierte Sozialforscher und Politikberater, der mit seinen Thesen gern polarisiert, geht dabei ins Grundsätzliche: Das Erfolgsmodell Europas und des Westens sei nicht mehr zukunftsfähig, wenn es sich nicht neuen Ideen und zukunftsfähigen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politikkonzepten zu wendet. Miegel untermauert seine Thesen mir Beispielen für pervertierten Wohlstand, sinnentleerte Rituale und orientierungsloses wirtschaftliches und politisches Handeln. Unabdingbar für einen Westen mit Zukunft ist für ihn die Rückbesinnung auf geistige und sittliche Potenziale, auf Bildung und westliche Kultur.
Journalist Sigmund Gottlieb, Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk, geht in seinem Titel "Sag mir, wo die Werte sind" (Collection Rolf Heyne) einen Schritt weiter und sieht die traditionellen Werte auf dem Vormarsch. Seine Thesen dürften Kritiker provozieren: Nicht jeder sieht in der Besinnung auf Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit, Leistungsbereitschaft und Pflichterfüllung den Weg für ein besseres Miteinander. Gottlieb hat jedoch Recht mir seiner Diagnose einer "neuen deutschen Sehnsucht nach Orientierung in einer unübersichtlichen Zeit". Nach dem Vorbild seines TV- Kollegen Peter Hahne hält Gottlieb der Gesellschaft einen Spiegel vor, begibt sich auf die Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen und plädiert für eine Renaissance von Werten, die schon Oma und Opa schätzten.