Nutzlose Verschwendung durch erneuerbare Energien
Europa investiert Milliarden in den Klimaschutz, doch solange die übrigen Länder nicht mitziehen, nützen alle Anstrengungen nichts. Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn kritisiert die verbreiteten europäischen Illusionen scharf und fordert eine wirksame Klimapolitik.
Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn hat ein neues Buch geschrieben. Erneut wendet er sich streitlustig, furchtlos und brillant gegen politisch korrekte Überzeugungen einer Mehrheit der veröffentlichten Meinung und der Politik. Nach dem Kampf gegen falsch gestaltete Wirtschaftsförderungs- und Sozialprogramme der vergangenen Jahre rennt er diesmal gegen die Wand grüner Ideologie und Politik an, wie sie von Deutschland auf immer mehr Länder – auch die Schweiz – übergreift. Gleich zu Beginn macht er es seinen absehbaren Fundamentalkritikern schwer. Er übernimmt die Warnungen führender Klimaforscher und bewertet den Klimawandel als grosses Problem: «Ohne Zweifel muss die Menschheit gegen den Klimawandel angehen» heisst es im Buch, oder, an anderer Stelle: «Jegliche Verzögerung ist Gift für das Klima.» Solche Sätze passen scheinbar in den Mainstream europäischer Umweltpolitik, doch Sinn richtet sie ausgerechnet gegen deren zentrales Betätigungsfeld: Die rasch wachsende Zahl der Windräder, Solarzellen und Biokraftstoff-Anlagen, mit denen Jahr für Jahr viele Milliarden Euro von den Energieverbrauchern zu den Produzenten umverteilt werden, ist eine vollkommen nutzlose Verschwendung, die von wichtigeren Massnahmen ablenkt und damit dem Klima eher schadet.
Sinn übernimmt weitgehend die Berechnungen des nicht unumstrittenen sogenannten «Stern-Reports», der im Jahr 2006 ein engagiertes Eintreten für eine rasche und starke Reduktion der Treibhausgasemissionen als viel kostengünstigere Option empfohlen hat als ein Zuwarten und späteres Beheben der Schäden durch den Klimawandel. Die europäische Klimapolitik wird aber, so weist Sinn überzeugend nach, dieses Ziel weit verfehlen. Die Kritik baut auf drei Hauptthesen auf.
Erstens sind die vielen Umweltmassnahmen und namentlich die Investitionen in die erneuerbaren Energien – ein Hauptpfeiler zumal der deutschen Klimapolitik – haarsträubend ineffizient, weil sie das ökonomische Gesetz missachten, dass ein Produkt nur einen Preis haben kann, wenn es im Wettbewerb möglichst kostengünstig angeboten werden soll. Die deutschen Umweltgesetze bewerten die Reduktion einer Tonne des Treibhausgases CO 2 hingegen mit völlig unterschiedlichen und willkürlichen Preisen. So fördert beispielsweise das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Anwendung von Technologien wie Windkraft oder Photovoltaik, die CO 2 -Vermeidungskosten von 40 € bis zu 600 € pro Tonne verursachen, gegenüber 20 € bis 30 € im Rahmen des europäischen Emissionshandels.
Kein Patentrezept
Gleichzeitig wurde eine Unzahl weiterer Förderinstrumente, Ökosteuern und Verordnungen erlassen, die einzelne Technologien ohne jede Systematik fördern oder belasten. Dieses Durcheinander befriedige den «zentralplanerischen Gestaltungswillen grün denkender Politiker», übertreffe aber an Willkür und Verschwendung das, was Zentralverwaltungswirtschaften wie die DDR zugrunde gerichtet habe.
Zweitens ruft Sinn die Tatsache in Erinnerung, dass das Emissionshandelssystem bereits den Ausstoss von CO 2 in Europa limitiert. Alle weiteren Massnahmen wie beispielsweise die Förderung erneuerbarer Energien oder die jüngst in Mode gekommenen staatlichen Eingriffe zur Steigerung der Energieeffizienz können zwar in einem Land zu einer stärkeren Reduktion führen. Dadurch werden aber lediglich Emissionszertifikate, die in diesem Land nicht mehr benötigt werden, zu günstigeren Preisen von den anderen EU-Staaten aufgekauft. Die Gesamtemissionen bleiben gleich, die Zusatzmassnahmen sind völlig nutzlos.
Drittens nützt auch das gesamte europäische System des Emissionshandels nichts, solange die dadurch erreichten Emissionsverminderungen lediglich durch die daran nicht beteiligten Staaten auf der Welt kompensiert werden. Zwar werden die CO 2 -Emissionen in Europa dadurch tatsächlich reduziert, doch das drückt lediglich die Nachfrage und damit die Preise für fossile Energien auf dem Weltmarkt, was den anderen Staaten einen Anreiz gibt, entsprechend mehr zu verbrauchen. Sinn leitet sogar eine kontraproduktive Wirkung der europäischen Bemühungen her, weil die erdölproduzierenden Länder aus Sorge um eine in Zukunft möglicherweise schärfere weltweite Klimapolitik – und damit tiefere Verkaufserlöse – einen Anreiz haben, das Erdöl möglichst rasch auf den Markt zu werfen. Dieses Dilemma kann nur durch ein rasches, weltumspannendes Klimaschutzabkommen gelöst werden. Sinn fordert ohne Illusionen Fortschritte auf diesem schwierigen Terrain. Die europäische Doktrin, durch Vorleistungen die anderen zum Mitmachen zu motivieren, sei wegen des geringen Erfolgs, der hohen Kosten und des fehlenden Klimanutzens nicht weiter auszubauen. Notfalls seien Drohungen an unkooperative Staaten – beispielsweise Importzölle – erfolgversprechender.
Den bunten und teuren Strauss der restlichen Klimaschutzmassnahmen kann man sich dagegen getrost sparen. Auch die von vielen als Hoffnungsträger genannte Technologie zur Abscheidung und Lagerung von CO 2 bei der Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken (CCS) hält Sinn nicht für die Lösung der Zukunft, weil die Lagerung des CO 2 zu viel Platz beansprucht und das langfristige Dichthalten der Lager fraglich ist. Zumindest empfiehlt Sinn Deutschland, die «Geisterfahrt» des Ausstiegs aus der CO 2 -freien Kernenergie zu stoppen. Ein Patentrezept gegen den Klimawandel hat freilich auch er nicht.
Beste Aufklärung
Das Buch ist jedem Bürger zur Lektüre zu empfehlen. Es ermöglicht wie wenige Publikationen eine eigene und unabhängige Urteilsbildung und steht damit in bester Tradition der Aufklärung. Sinn leitet seine Thesen sorgfältig her und beleuchtet sie aus vielen Blickwinkeln, indem er allfällige Gegenargumente aufgreift und ausführlich diskutiert. Darüber hinaus führt das Buch auch den unkundigen Leser mit beeindruckender Klarheit in das komplexe Gebiet der Klimapolitik ein und macht ihn mit allen wichtigen Fakten und Zahlen vertraut. Dabei liest es sich auch noch sehr leicht und unterhaltsam, nicht zuletzt dank Sinns beneidenswertem Talent für eingängige Sprachbilder und Vergleiche.
Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Econ-Verlag, Berlin 2008. 477 S., € 24.90.