„Risiko für den Standort“

Igor Steinle, Südwest Presse, 30. Januar 2025, Nr. 24, S. 3.

Ist Klimaschutz wirtschaftlich tragbar oder opfert Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Altar der Nachhaltigkeit? Es hängt von zwei Faktoren ab.

Aktivisten füllten die Straßen, die Grünen erhielten Rekord­zustimmung für ihre Themen: Umwelt- und Klimaschutz haben in den vergangenen Wahlkämpfen oft die Debatten dominiert. Doch der Wind hat sich gedreht. Nur noch für zwölf Prozent der Deutschen ist Klima- und Umweltschutz ein vordringliches Thema, zeigen Zahlen des „Deutschlandtrends“. Stattdessen bewegen Fragen, wie illegale Migration eingedämmt und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden kann, die Gemüter. Auch auf europäischer Ebene spielt Klimaschutz kaum noch eine Rolle. Der Green Deal, einst als Weltrettungsprojekt gefeiert, gilt inzwischen als zu bürokratisch und wirtschaftsschädigend. Entsprechend gewannen bei den letzten Wahlen die Konservativen, während die Grünen drastisch verloren. Nun soll die wirtschaftliche Stärke Europas wieder in den Vordergrund der Kommissionsarbeit rücken. Und von den USA war noch gar nicht die Rede: „Drill, baby, drill“ lautet das Motto des Präsidenten Donald Trump. Die Förderung von Öl und Gas soll ausgeweitet, der Bau von Wind­rädern und die Förderung von Elektroautos gestoppt werden.

Ist Klimaschutz also ein Schönwetterthema, das nur dann von Interesse ist, wenn es keine drängenderen Probleme gibt? Der renommierte Klimaökonom Ottmar Edenhofer widerspricht. Die Erzählung, Klimapolitik schade der Wettbewerbsfähigkeit und vernichte Arbeitsplätze, sei „fatal“, schimpft der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Das Gegenteil sei wahr: „Wenn wir jetzt mitten im Umbau stecken bleiben, verlieren wir die Zukunft.“

Doch wo steht Deutschland beim Umbau seiner Wirtschaft? Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, Wachstum und Klimaschutz zu verbinden. Gerne wird darauf verwiesen, dass die Emissionen der Industrie seit 1990 um gut 40 Prozent gesunken sind, während die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes um rund 80 Prozent gestiegen ist. Dies gilt als Beleg dafür, dass die Industrie auch in Zukunft wachsen und die Emissionen sinken können.

Kritiker weisen darauf hin, dass diese Zahlen vor allem durch die Deindustrialisierung in Ostdeutschland möglich wurden. Ökonomen wie der ehemalige Chef des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, argumentieren, dass dies auch heute noch so sei: Seit der Verschärfung des europäischen Emissionshandels 2018 werde in Deutschland vor allem durch die Verlagerung energie­intensiver Industrie ins Ausland CO2 eingespart, was wenig nütze: Zwar sinken die Emissionen hierzulande, nicht aber global, da die Produktion meist in Länder mit weniger strengen Umweltauflagen abwandert.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung und anderer Experten aus dem vergangenen Jahr scheint ihm recht zu geben. Die Forscher untersuchten, wie erfolgreich deutsche Regionen seit 2000 ihre Wirtschaft wachsen lassen konnten, ohne mehr CO2 auszustoßen. Das Ergebnis: Emissionsrückgänge gab es vor allem dort, wo die Wirtschaft schrumpfte, etwa durch den Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie.

Edenhofer räumt ein, dass die energie­intensive Industrie unter hohen Energiepreisen leidet, die anderswo niedriger sind, was auch so bleiben werde. Man müsse aber einen Wandel in der Wertschöpfung zulassen. Das sei auch „eine gewaltige Chance“. Deutschland könne sich wirtschaftlich breiter aufstellen und stärker auf nachhaltige Zukunftstechnologien konzentrieren. „Wir werden nicht als Industriemuseum des 19. Jahrhunderts überleben.“

Abwanderung unvermeidbar

Tatsächlich halten Experten eine weitere Abwanderung energieintensiver Industrien für kaum vermeidbar, sollten die Energiepreise nicht rasch sinken. Die Umstellung auf klimaneutrale Produktionsweisen sei gerade in der Chemie- und Stahlindustrie besonders teuer und langwierig, zugleich aber von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts, erklärt die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm. Ob dies gelingt, werde „den Wohlstand der gesamten Volkswirtschaft entscheidend beeinflussen“. Denn wer die Basis der Wertschöpfungsketten verliere, wird es auf Dauer schwer haben, andere Branchen wie die Automobilindustrie zu halten.

Wie also kann Klimaschutz gelingen, ohne der Wirtschaft zu schaden? Grimm ist zuversichtlich, dass eine Entkopplung von Wachstum und CO2-Ausstoß möglich ist. Wichtig sei vor allem, auf kleinteilige Regulierung zu verzichten und stattdessen stärker auf den Emissionshandel zu setzen. Der Erfolg der Energiewende hänge zudem von ihrem Preis ab: Es brauche mehr saubere Energie zu geringeren Kosten. Angesichts der gigantischen Summen, die für den Ausbau der Stromnetze anfallen, klingt dies jedoch nach der Quadratur des Kreises.