Klimaabkommen könnten die Erdgas- und Erdölvorräte durch ein Verbot ihrer thermischen Nutzung wertlos machen. Die Anreize, sie schnell zu Geld zu machen, würden übergroß – mit schlimmen Folgen. Doch es gibt eine Lösung. Ein Essay
Wer vor gut einem Jahrzehnt am ifo Institut in München zu Besuch war, hätte dort auch einen Dinosaurier antreffen können. Gemeint ist die Nachbildung einer Riesenechse, wie sie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) jährlich als Negativpreis an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verleiht. Hans-Werner Sinn, der damalige ifo-Präsident, hatte diesen Preis im Jahr 2009 erhalten. Seine kritischen Botschaften zu den Wirkungen konkreter klimapolitischer Maßnahmen hatten erkennbar den Unmut des NABU erregt.
Bis heute aktuell und besonders bedeutsam, weil von großer wirtschafts- und klimapolitischer Tragweite, ist Sinns unpopuläre Einschätzung der unerwarteten und unerwünschten Effekte von Klimaabkommen, die als „grünes Paradoxon“ in die Literatur Eingang gefunden hat. Demnach kann die Anstrengung der Weltgemeinschaft, die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Erdöl und Erdgas durch Verbote und Besteuerung allmählich zu reduzieren, unmittelbar einen Ansturm auf die verbleibenden fossilen Brennstoffreserven der Welt auslösen. Ein solcher „rush to burn“ beschleunigt den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids, anstatt ihn zu verringern.
Das Problem ist heute unter Klimaökonomen gut bekannt. Wie ihm zu begegnen ist, blieb indes bislang offen. Eine aktuelle Studie von Forschern unseres Instituts, des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen (MPI), sowie der Universität Bergen in Norwegen hat das unliebsame Problem aufgegriffen und eine Lösung gefunden. Es gibt Wege, den „rush to burn“ zu bremsen oder umzukehren.
Erfolgreiche Klimapolitik verlangt, die CO2-Emissionen erheblich zu verringern. Will man das 1,5-Grad-Klimaziel erreichen, darf ein Großteil der fossilen Energieträger nicht verbrannt werden. Nach einer aktuellen Studie der Zeitschrift „Nature“ müssen etwa 60 Prozent der Reserven an Öl und Erdgas im Boden verbleiben, von den riesigen Kohlevorkommen ganz zu schweigen.
Die bisherige Klimapolitik setzt auf eine Dämpfung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern. Allerdings wirken fast alle Maßnahmen, die dazu ergriffen werden, mit zeitlicher Verzögerung. Dazu gehören das Ende der Kohleverstromung, das Verbot neuer Ölheizungen, das Auslaufen des Verbrennungsmotors, der Ersatz von Öl und Gas in vielen rohstoffverarbeitenden Prozessen. Als hilfreich gelten auch ein möglichst allgemeiner Handel mit vorgegebenen Mengen von Emissionszertifikaten und Steuern oder Abgaben auf CO2-Emissionen im Rahmen eines globalen Klimaabkommens.
Da wäre zunächst die Schwierigkeit, sich politisch auf Emissionsminderungen zu einigen. Die entsprechenden Verhandlungen haben vor mehr als 25 Jahren begonnen, sind allerdings ohne durchschlagenden Erfolg geblieben. Es gibt einige wenige positive Zwischenergebnisse. Dazu gehören das Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1997 und das Übereinkommen, das 2015 in Paris geschlossen wurde.
Die freiwilligen Zusagen und Absichtserklärungen, die die Staaten dort gemacht haben, sind allerdings eher unverbindlich. Auch die jüngste United Nations Climate Change Conference (COP 26) in Glasgow hat keinen wirklichen Durchbruch gebracht.
Die Fehlschläge sind im Grunde nicht überraschend. Über ein internationales Klimaabkommen verhandeln souveräne Staaten. Sie sind den Interessen ihrer jeweiligen Bürger verpflichtet. Sie müssen sich auf ein Abkommen einigen, das für jeden Unterzeichnerstaat mit Kosten verbunden ist. Angesichts der Ausgaben überwiegen die Vorteile für die Unterzeichner nur, wenn sich hinreichend viele Staaten substanziell beteiligen. Jeder Staat mag sich ein Abkommen wünschen, das den Klimawandel verlangsamt – am liebsten ist ihm aber eines, bei dem vor allem die anderen die Kosten tragen.
Ein Abkommen als Lösung des Klimaproblems?
Wenn einzelne Staaten die vereinbarten Emissionsminderungsziele nicht einhalten, welche Institution kann dann den Bruch des Vertrags feststellen? Jemand müsste den Vertragsbruch sanktionieren. Wer würde das sein?
Die Präsidentschaft von Donald Trump und der Austritt der USA aus dem Klimaabkommen von Paris haben deutlich gemacht, wie politisch anfällig solche Vereinbarungen sind. Sie hängen von den jeweils wechselnden politischen Mehrheiten in den Einzelstaaten ab. Trotz dieser Schwierigkeiten sehen die COP-Fachleute, die an unserer Studie teilgenommen haben, die Lösung des Klimaproblems mehrheitlich in einem solchen Abkommen. Machen wir nun gedanklich einen Sprung zum „grünen Paradoxon“: Was würde passieren, wenn es im November dieses Jahres auf der COP 27 in Sharm el Sheik zu einem bindenden
Abkommen käme, das für die kommenden Jahrzehnte erhebliche Emissionsminderungen festschriebe? Zum Beispiel, dass vom Jahr 2040 an Erdöl und Erdgas weltweit nicht mehr zur Energieerzeugung genutzt werden dürften, und/oder die Abgaben auf CO2-Emissionen bis dahin prohibitiv hoch sein müssten.
Das „grüne Paradoxon“ gibt eine unbequeme Antwort: Versetzen wir uns in die Gedankenwelt des Regierungschefs in, beispielsweise, einem arabischen Ölstaat. Wie reagiert er auf die Nachricht über dieses Abkommen? Ihm wäre klar: Die fossilen Öl- und Gasvorräte, die sein Land bis 2040 nicht aus dem Boden gepumpt und verkauft hat, verlieren ihren Wert.
Ab diesem Zeitpunkt wird sein Land für solche Bodenschätze nichts mehr bekommen. Sie werden zu „stranded assets“, Vermögenswerten, die dauerhaft von Wertverlusten bis hin zum Totalverlust gekennzeichnet sind. Da empfiehlt es sich doch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger seines Landes, so schnell und so viel wie möglich zu fördern und zu verkaufen. Gedanken dieser Art spielen gewiss die Regierenden aller Länder mit großen Öl- und Gasvorkommen durch.
Die Gefahr des Ausverkaufs
In der Folge dieses „rush to burn“ steigt das Angebot an Öl und Gas, die Preise verfallen. Das ist für die Rohstoffländer zwar schmerzlich, denn sie erhalten für ihre Ressourcen nur wenig Geld. Schnell und billig zu verkaufen ist indes noch immer besser, als am Ende auf einem großen, aber wertlosen Öl- und Gasvorrat sitzen zu bleiben.
Derzeit sehen wir im Zusammenhang mit dem militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine am Öl- und Gasmarkt Knappheiten und eher eine Preisentwicklung nach oben. Das sollte über die Existenz des Problems des „rush to burn“, also eines „Ausverkaufs“, nicht hinwegtäuschen. Ein solcher Ausverkauf würde erst einsetzen, wenn ein verbindliches Klimaabkommen über substanzielle zukünftige Emissionsminderungen zustande gekommen ist oder ein Vertragsabschluss zumindest glaubhaft bevorsteht. Solange es noch nicht zu einem solchen Abkommen und nicht zu einem „rush to burn“ gekommen ist, spricht das nicht gegen die Vorhersagen der Theorie. Diese sagt eher etwas darüber aus, wie weltweit die Erfolgsaussichten für ein solches Abkommen eingeschätzt werden.
Der Wirtschaftswissenschaftler Harold Hotelling hat den intertemporalen Marktzusammenhang für erschöpfbare Rohstoffe schon vor fast hundert Jahren beschrieben. Der endliche Vorrat dieser Rohstoffe macht sie zu grundsätzlich anderen Gütern als solche, die jederzeit und in jeder Periode in fast beliebiger Menge produziert werden können. Der Besitzer eines Vorrats an einem natürlichen Rohstoff verkauft jede Einheit seines Vorrats genau einmal. Er wartet auf den Zeitpunkt, an dem der Barwert des Verkaufserlöses am höchsten ist. Diese Logik bestimmt die Entwicklung des Preises für den Rohstoff. So kommen zu jedem
Zeitpunkt Angebot und Nachfrage zum Ausgleich. Ist der erwartete Preis morgen sehr niedrig oder gar null, würden alle Anbieter heute verkaufen und begnügten sich mit einem niedrigeren Preis heute. Die Marktkonditionen, die in zehn oder zwanzig Jahren für Gas und Öl erwartet werden, wirken sich deshalb stark auf das Angebot in der Gegenwart aus.
Eine sehr schlechte Nachricht
Dass ein künftiger Bann von Öl und Gas zu einer unmittelbaren Ausweitung des Angebots und einem Preisverfall führt, ist keine graue Theorie. Solche Antizipationseffekte sind aus einzelnen Rohstoffmärkten durch empirische Studien belegt. Und etwa zwei Drittel der COPKlimaexperten, die an unserer Studie teilgenommen haben, sehen in dem „rush to burn“ ein drohendes Problem.
Für das Klima ist der drohende Ausverkauf eine sehr schlechte Nachricht. Er könnte die weltweiten CO2-Emissionen beschleunigen. Das gilt zumindest für die Übergangsphase, ehe das Verbrennen von Öl und Gas effektiv unterbunden wird.
Das Interesse an Elektromobilität ist nicht so groß, wenn Benzin billig ist. Wärmedämmung an Gebäuden oder auch das Heizen mit einer strombetriebenen Wärmepumpe ist weniger interessant, solange man mit Gas und Öl preiswert heizen kann. Analoges gilt für weitere Märkte für regenerative Energien, wie Solarenergie und Windenergie. Sie hätten es angesichts billigen Erdgases und Öls schwer. Auch das wirtschaftliche Umfeld für Sprunginnovationen im Bereich regenerativer Energien wäre wohl eher ungünstig.
Wie vermeidet man den „rush to burn“?
Soweit die Diagnose des Problems. Die schwierigere Frage ist die nach einer Lösung: Wie vermeidet man den „rush to burn“?
Ein extremer Vorschlag stammt von dem Umweltökonomen Bard Harstad: Die Länder mit großen Öl- und Gasvorkommen sollten dafür entschädigt werden, dass sie diese Vorkommen nicht heben, sondern im Boden belassen. Der Vorschlag hat einige Nachteile. Er ist vor allem teuer. Man verzichtet darauf, wertvolle Rohstoffe zu nutzen, und zahlt Abermilliarden dafür. Ungeklärt ist auch, wie und nach welcher Regel die globale Gemeinschaft die Zahlungen aufbringen würde: Welches Land möchte wohl wie viel zahlen? Entsprechend zurückhaltend antwortete die Mehrheit der Teilnehmer an unserer Studie auf die Frage, ob dieser Vorschlag realistisch sei.
Eine vielleicht bessere Lösung basiert auf der am MPI mitverfassten Studie. Sie lässt sich in zwei Schritten beschreiben. Stellen wir uns zunächst vor, es gibt Methoden, Gas und Öl zu fördern und nutzbringend zu verwenden – aber nicht als klimaschädliche Energieträger, sondern für klimaneutrale oder klimafreundliche Produkte. Was wäre die Folge?
Es greifen dann Mechanismen, die den „rush to burn“ bremsen oder umkehren. Öl und Gas blieben knappe und wertvolle Güter, auch wenn sie künftig nicht mehr als Energieträger eingesetzt werden können. Die Rohstoffländer mit erheblichen Öl und Gasvorkommen im Nahen Osten, aber auch andernorts könnten damit rechnen, dass sie ihre Vorkommen auch nach 2040 noch für gutes Geld verkaufen können. Da sie die Vorräte nur einmal fördern und verkaufen können, warten sie lieber, statt jetzt zu Dumpingpreisen zu verkaufen.
Die Märkte in der Gegenwart reagieren auf die hohen Preise, die man für Gas und Öl mittelfristig erwarten würde. Angebot und Nachfrage kommen auf einem deutlich höheren Preisniveau zum Ausgleich. Entsprechend werden weniger Öl und Gas für die Energieerzeugung gefördert und verbrannt. Der Ausstoß an CO2 geht zurück, und zwar schon heute.
Die hohen Öl- und Gaspreise in der Gegenwart machen alternative klimafreundliche Energieträger und nachhaltige Energiekonzepte auf dem Markt konkurrenzfähiger. Das wirtschaftliche Umfeld für klimafreundliche Innovationen verbessert sich ebenfalls.
Energiewende von ganz alleine
Im Idealfall würden Erdöl und Gas in der Zukunft so wertvoll für die klimafreundlichen Formen ihrer Nutzung und damit so teuer, dass sie heute nicht mehr verbrannt werden. Damit wäre erreicht, was bislang nicht gelungen ist: die Dekarbonisierung der Energieerzeugung und eine Marktdynamik, die alternative klimafreundliche Konzepte und Innovationen fördert.
CO2-Steuern oder Nutzungsverbote für Energieträger auf Karbonbasis würden weniger zwingend, vielleicht sogar überflüssig. Die Preislogik von Harold Hotelling beziehungsweise die Kräfte des Marktes, namentlich die hohen zukünftigen Preise für Öl und Gas, erledigen die Energiewende von ganz allein. Und selbst wenn die Wirkungen nur graduell und weniger extrem ausfallen, wäre schon viel gewonnen, wenn der „rush to burn“ abgebremst würde.
Das führt zur zentralen Frage, die viele an dieser Stelle haben mögen: Wie sollten die alternativen und klimafreundlichen Nutzungskonzepte aussehen, die Öl und Gas in der Zukunft so überaus wertvoll machen?
Ein Blick in die Forschung legt nahe: Für Erdgas, das ganz überwiegend aus Methan besteht, lautet die mögliche Antwort „türkis“. Wie ein Forschungsteam um Robert Schlögl vom MaxPlanck-Institut für chemische Energiekonversion beschrieben hat, besteht ein attraktives Verfahren zur Erzeugung von Wasserstoff darin, Methan direkt und ohne Freisetzung von CO2 in Wasserstoff und Kohlenstoff aufzuspalten. Methan zerfällt nicht ganz freiwillig in diese Substanzen. Der Zerfall erfolgt unter hohem Druck und hohen Temperaturen in einer Salzschmelze, die als Katalysator wirkt. Das Verfahren heißt katalytische Pyrolyse.
Blau, grün oder türkis?
Der so hergestellte Wasserstoff heißt „türkis“, im Unterschied zu „blauem“ oder „grünem“ Wasserstoff. Das Team um Schlögl beschreibt und vergleicht einzelne Verfahren miteinander. Der derzeit im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehende „grüne“ Wasserstoff zum Beispiel entsteht durch elektrolytische Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Der dafür erforderliche Energieaufwand ist aber etwa achtmal so hoch wie der bei der Erzeugung von Wasserstoff aus Methan.
Für „blauen“ Wasserstoff wird ebenfalls Methan aufgespalten. Aber bei diesem Verfahren entsteht neben Wasserstoff auch Kohlendioxid. Im Vergleich zu „blauem“ Wasserstoff fallen bei der katalytischen Pyrolyse keine nennenswerten klimaschädlichen Nebenprodukte an.
Ein weiterer Pluspunkt der Methanpyrolyse wird in einem aktuellen Artikel in der Fachzeitschrift PNAS von Matteo Pasquali und Carl Mesters beschrieben. Der Kohlenstoff, neben Wasserstoff bei der Aufspaltung von Methan anfällt, kann beispielsweise die Form von Karbon-Nanoröhren (CNTs) annehmen. Diese Kohlenstoffformationen sind vielversprechende Rohstoffe für Konstruktionsmaterialien und könnten Aluminium, Beton, Stahl und andere Stoffe ersetzen.
Solche Karbonmaterialien sind nicht nur verhältnismäßig leicht, sie haben auch andere, hochinteressante Materialeigenschaften hinsichtlich Leitfähigkeit, Elastizität und Festigkeit. Ersetzten sie traditionelle Konstruktionsmaterialien, leistete Erdgas/Methan einen zweiten Beitrag zur Klimapolitik. Denn häufig werden traditionelle Baustoffe in klimaschädlichen Prozessen produziert. Sie durch Karbonstoffe zu ersetzen führt demnach zur Einsparung von CO2-Emissionen.
Was wird aus dem Erdöl?
Die Perspektiven für alternative Nutzungskonzepte für Erdöl sind noch nicht so offensichtlich. Derzeit wird ein Bruchteil des geförderten Erdöls zu Kunstfasern, Dämmstoffen und anderen Plastikprodukten verarbeitet. Ist das Erdöl in diesen Materialien einmal gebunden, ist es weitgehend klimaneutral verwendet.
Die Plastikwirtschaft, wie sie derzeit betrieben wird, hat allerdings schwerwiegende Schattenseiten: Ein Großteil des produzierten Plastiks treibt über die großen Flüsse ins Meer und wird dort als Mikroplastik in lebenden Organismen „zwischengelagert“. Auch die Einwegplastiktüte, die am Ende ihrer kurzen Nutzungsperiode nicht im Ozean, sondern in der Müllverbrennungsanlage landet und dort in CO2 und Wasserdampf umgesetzt wird, hat keine erfreuliche Klimabilanz.
Diese Nutzungszyklen für Plastik sind aber nicht naturgegeben. Sie ließen sich ändern, ohne dass wir auf Erdöl als Rohstoff verzichten müssten. Man könnte darauf hinwirken, dass Kunststoffprodukte aus Öl am Ende einer langen und hochwertigen Nutzung tief in die Erde verbracht werden, letztlich also ungefähr dorthin zurück, von wo man das Rohöl zu ihrer Produktion einst entnommen hat. So würde der Kohlenstoff dauerhaft gebunden, ohne negative Folgen für das Klima oder für die Gesundheit von Tier und Mensch.
Was klimaneutrale Verwendungen von Erdöl angeht, sind Phantasie und Innovationswille keine Grenzen gesetzt. Im derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Klima richten sich die Anreize aber eher auf die Suche nach Stoffen, die Plastik ersetzen können und nicht aus Erdöl hergestellt werden. Solche Substitute verdrängen und verringern die künftige Nachfrage nach fossilem Öl. Ihre Entwicklung und preisgünstige Verfügbarkeit verschärfen insofern den „rush to burn“ und erhöhen in der Tendenz die CO2-Emissionen in der Gegenwart.
Die vielleicht wichtigste Aussage der Studie, an der unser Institut beteiligt war, betrifft aber die Frage, wann die klimafreundlichen Verwendungsarten verfügbar sein müssten. Für die Umkehrung des „rush to burn“ ist es nicht erforderlich, dass die alternativen Nutzungsoptionen für Erdöl und Gas schon heute ausgereift sind. Wichtig ist, dass die Staaten mit großen Öl- und Gasvorkommen damit rechnen können, dass solche Möglichkeiten in einigen Jahren oder Jahrzehnten entwickelt werden. Jetzt müssen die Staaten nur darauf vertrauen können, dass ihre Ressourcen auch in einigen Jahren noch werthaltig sind.
Mit den Marktkräften, nicht gegen sie
Die Verwirklichung der skizzierten Klimawende, die sich die Marktkräfte zunutze macht, wird in der Praxis auf viele Hindernisse stoßen. Die Politik sollte helfen, diese zu überwinden. Unternehmen, die beispielsweise in die Erzeugung türkisen Wasserstoffs investieren sollen, werden das nur tun, wenn auch die Investitionsbedingungen stabil sind. Sie müssen darauf vertrauen können, dass die nächste Regierung dieser energiepolitischen Entwicklung nicht regulatorisch den Garaus macht.
Auch politische Vorschläge, wie etwa jüngst zum Rückbau des deutschen Erdgasnetzes, sollten wohlüberlegt sein. Das in Deutschland verlegte Gasleitungssystem kann in einer Wasserstoffwirtschaft wichtige Aufgaben bei der Versorgung der Verbraucher mit diesem klimaneutralen Brennstoff übernehmen. Ein Rückbau ist nicht hilfreich. Im Gegenteil: Wünschenswert, auch im Sinne einer künftigen Wasserstoffwirtschaft, wären die Erhaltung und der weitere Ausbau dieser Infrastruktur. Sie verspricht eine breite und zuverlässige Nutzung des produzierten Wasserstoffs zu vertretbaren Kosten.
Ähnlich bedeutsam ist die Zuverlässigkeit der Versorgung mit Erdgas als Rohstoff für die katalytische Pyrolyse, und zwar zu vertretbaren und konkurrenzfähigen Erzeugerpreisen und Transportkosten. Politisch ist das derzeit ein heißes Eisen. Eines kann man aber feststellen: Die Lösung des Versorgungsproblems besteht nicht darin, einzelne Lieferanten zu wählen oder auszusortieren, weil sie als zuverlässig oder unzuverlässig gelten.
Der Schlüssel besteht vielmehr darin, Anbieterkonkurrenz zu schaffen beziehungsweise für Redundanzen in der Versorgung zu sorgen. Gemeint ist damit, eine Handvoll Lieferbeziehungen gleichzeitig zu pflegen und mehrere Transportwege gleichzeitig zu nutzen. Kurzfristig ist das Halten von Gas- und Ölspeichern als Anpassungsreserve wichtig. Mittelfristig geht es aber darum, den Ausfall eines einzelnen Lieferanten oder eines Transportwegs durch höhere Liefermengen anderer Lieferanten ausgleichen zu können. Das politische Regime der Lieferanten und Transitstaaten mag aus vielen Gründen von Bedeutung sein. Für die Versorgungssicherheit und für einen günstigen Einkauf des Erdgases ist es nicht mehr besonders wichtig, wenn zwischen mehreren Anbietern hinreichend Konkurrenz herrscht.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Der „rush to burn“ ist ein echtes Hindernis für eine erfolgreiche Klimapolitik, gerade dann, wenn ein internationales Klimaabkommen geschlossen würde. Klimaneutrale oder klimafreundliche Alternativen für die Nutzung von Erdöl und Gas wären die Lösung dieses „rush to burn“, und zwar eine, die viele Vorteile bringt: Man muss nicht auf kollektive Vereinbarungen warten, die Lösung ist kostengünstig und sie nutzt statt hoher Subventionen und staatlicher Verbote die Kräfte des Marktes für eine erfolgreiche Klimawende.
Nachzulesen auf www.faz.net.