Bulgarien hat große Probleme mit Korruption und Geldwäsche, dennoch will die Regierung 2024 den Euro einführen. Selbst führende Politiker des Landes warnen vor einem voreiligen Beitritt.
Wer wissen will, ob Bulgarien reif für den Euro ist, sollte sich mit dem Finanzminister unterhalten. Assen Wassilew empfängt in einem großen Besprechungszimmer, das eine interessante Geschichte hat. Sein Vorgänger soll hier Taschen voller Bargeld entgegengenommen haben. Im Gegenzug gab es angeblich politische Gefälligkeiten.
Wassilew ist ein zurückhaltender Mann, der mit sanfter Stimme spricht. Das Bild, das er von der politischen Klasse seines Landes zeichnet, ist dagegen von brutaler Ehrlichkeit. Öffentliche Aufträge seien jahrelang ohne Ausschreibung vergeben worden. Wirksame Kontrollen gebe es nicht, Geldwäsche sei ein großes Problem.
Der in Harvard ausgebildete Ökonom ist seit Mai Teil eines Kabinetts von Fachleuten, das übergangsweise im Amt ist. Er will mit den Machenschaften der Regierung von Premierminister Bojko Borissow aufräumen. Der war nach insgesamt zehn Jahren an der Macht im Frühjahr zurückgetreten, nachdem seine Gerb-Partei bei den Wahlen herbe Verluste erlitten hatte.
Nach einer einstündigen Unterhaltung fragt man sich, ob Bulgariens Antrag auf einen Eurobeitritt eine gute Idee ist. Anfang Juni hat die Regierung einen konkreten Beitrittsplan vorgelegt. Ab dem 1. Januar 2024 will das Land die gemeinsame Währung einführen.
Formale Kriterien erfüllt
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die formalen Kriterien, die das Euroreglement vorschreibt, erfüllt Bulgarien. Beim Haushaltsdefizit, dem Schuldenstand und der Inflation steht es sogar besser da, als es die Vorgaben verlangen. Die Landeswährung Lewa ist seit Einführung des Euro an ihn gekoppelt.
Zusammen mit Kroatien trat Bulgarien im vergangenen Jahr dem sogenannten Europäischen Wechselkursmechanismus II und der Bankenunion bei. Der Weg in die Eurozone ist damit unumkehrbar. Selbst die Europäische Zentralbank hat nun kein Vetorecht mehr. Nur die Frage des Zeitpunkts ist noch offen.
Bulgariens Beitritt wäre die erste Erweiterung der Eurozone seit 2015, als Litauen – nun das 19. Mitglied – den Euro einführte. Aber ist es wirklich sinnvoll, ein Land aufzunehmen, das mit Korruption, Geldwäsche und der Schwäche der Finanzaufsicht zu kämpfen hat?
»Natürlich ist Bulgarien im Euro herzlich willkommen, aber es muss seine Probleme im Bereiche Geldwäsche und Korruption den Griff bekommen«, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, der zusammen mit seinem Fraktionskollegen Daniel Freund zu einer Erkundungsmission nach Bulgarien gereist ist. Die EU müsse verhindern, dass ein Mitgliedsland wie in der Vergangenheit Zypern oder das Baltikum zum Zentrum großer Geldwäscheaktivitäten werde, sagt Giegold.
Wenn der Prozess läuft, ist er schwer zu stoppen
Aber könnte die EU das Desaster abwenden? Wenn ein solcher Prozess erst einmal läuft, ist es in der Regel schwierig, ihn zu stoppen. Man werde Bulgarien und Kroatien »auf der nächsten und abschließenden Etappe auf ihrem Weg zum Beitritt zum Eurowährungsgebiet weiter unterstützen«, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Sommer vergangenen Jahres, noch bevor die Reformregierung ins Amt kam.
Es besteht die Gefahr, dass sich die Union freiwillig ein weiteres Problem aufhalst, ganz so, als hätte man aus der Eurokrise nichts gelernt.
Selbst führende Politiker des Landes finden, dass sich die Euro-Gruppe die Aufnahme Bulgariens derzeit überlegen sollte. »Es gibt hier eine Reihe von Branchen, in denen die Kombination aus Korruption, Missmanagement und direkter oder indirekter staatlicher Kontrolle zu einer Anhäufung von Verlusten und zu Instabilität geführt hat«, sagt Christo Iwanow, Vorsitzender der Anti-Korruptionspartei »Ja, Bulgarien«. Iwanow und andere erinnern an die Verwerfungen in der Eurozone nach der Aufnahme Griechenlands.
Athen hatte seinen wahren Schuldenstand und sein Haushaltsdefizit verschleiert. Wegen der drohenden Staatspleite Griechenlands im Jahr 2010 spitzte sich die Eurokrise zu.
Obwohl die griechische Wirtschaft gemessen an jener in der gesamten Eurozone nur klein ist, hätte das Land die Währungsunion fast gesprengt.
Man kann, wie der Grünenabgeordnete Freund es tut, in der Euroeinführung eine Chance sehen. »Die Entwicklung in Bulgarien geht unter der gegenwärtigen Regierung in die richtige Richtung«, sagt er. EU-Kommission und Europäische Zentralbank müssten die Gelegenheit der Euroeinführung nutzen, um den Finanzsektor auf Vordermann zu bringen.
Bleiben die Reformer an der Macht?
Nur setzt das voraus, dass die Reformer die Politik bestimmen. Aber die gegenwärtige Regierung hat im Parlament nicht einmal eine Mehrheit. Und im November soll es Neuwahlen geben, die dritten in diesem Jahr.
Es ist völlig offen, ob Wassilew und seine Kolleginnen und Kollegen die Aufräumarbeiten fortsetzen können. Gut möglich, dass die Gerb-Partei Borissows, deren Abgeordnete im Europaparlament mit CDU und CSU in der konservativen EVP-Fraktion sitzen, an die Macht zurückkehrt. Und das wäre ein Desaster für Europa. Borissow spottet bereits: »Wenn ihr es nicht könnt, holt mich zurück. Ich werde den Job für euch erledigen.«
Der langjährige Regierungschef hat die Demokratie in Bulgarien zielstrebig ausgehöhlt. Er hat Teile der Justiz gefügig gemacht und Oligarchen mit staatlichen Aufträgen versorgt. Weil er diskreter vorging als die Regierungen in Kollegen in Polen und Ungarn, musste er keinen Widerstand aus Brüssel oder Berlin fürchten. Er hinterlässt ein Erbe, das das Land noch lange prägen wird.
Viele Probleme werden sich selbst mit gutem Willen nicht schnell lösen lassen. Einer der schlimmsten Gestalten ist nach Auffassung von Bürgerrechtlern und Antikorruptionsinitiativen der Generalstaatsanwalt Iwan Geschew. So lange dieser Korruptionsermittlungen blockiere und Politiker oder Oligarchen schütze, werde sich nichts grundlegend ändern, sagt Adela Katchaounova vom Bulgarischen Helsinki-Komitee.
Es wird vermutlich dauern, bis sich die Dinge bessern, denn Geschews Amtszeit läuft noch einige Jahre. Er kann nicht abgesetzt werden, und Rücktrittsforderungen hat er bislang ignoriert.
Auch wirtschaftlich läuft vieles schlechter, als es die Zahlen vermuten lassen. Zwar erlebte das Land ab 2000 ein Jahrzehnt mit starken Wachstumsraten. Nach der globalen Finanzkrise schwächte sich das Wachstum aber deutlich ab. Wie es weitergeht, ist nach Studien von EU-Kommission und Europäischer Zentralbank fraglich. Dort ist von »Bedenken hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Inflation« die Rede und davon, dass sich die Lage der öffentlichen Finanzen »drastisch verschlechtern« könne.
Mehr faule Kredite als anderswo
In der Hauptstadt Sofia blüht eine kleine, hochproduktive Softwareindustrie, doch ansonsten spielt der Tourismus, wie in vielen strukturschwachen Staaten Südeuropas, eine wichtige Rolle. Der Wettbewerb auf den Gütermärkten sei »schwächer als in praktisch allen anderen Mitgliedsländern«, heißt es in der jüngsten Bewertung des Industrieklubs OECD vom Januar dieses Jahres. Und im Bankensektor gebe es mehr faule Kredite als im OECD-Durchschnitt.
Vor allem aber leidet Bulgarien darunter, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte das Land in Scharen verlassen. Seit der Jahrtausendwende habe Bulgarien fast zehn Prozent seiner Bevölkerung verloren, so die OECD. Zugleich haben viele Jugendliche, die im Land geblieben sind, weder einen Job noch eine solide Ausbildung. Dies sei einer der »beängstigendsten Indikatoren für ein beständig alterndes Land«.
Die Einführung des Euro könnte die Probleme noch verschärfen, fürchten viele Ökonomen. So war es schließlich auch in anderen Beitrittsländern. Nachdem die alten nationalen Münzen und Scheine ausgedient hatten, stiegen vielerorts die Preise, was vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten zu schaffen machte. Um die Einbußen auszugleichen, erhöhten die Regierungen nicht selten die sozialen Leistungen.
Im Europaparlament wächst daher der Widerstand. »Ich plädiere für eine längere Wartezeit«, sagt etwa der CSU-Finanzexperte und Europaparlamentarier Markus Ferber. »Sonst könnte aus Bulgarien schnell ein zweites Griechenland werden.«
Noch kritischer sieht das Hans-Werner Sinn, der frühere Chef des Münchner Ifo-Instituts. »Bulgarien hat beim Nachbarn Griechenland gesehen, wie schön es ist, wenn man sich eine Währung drucken darf, die andere Länder als gesetzliches Zahlungsmittel anerkennen«, sagt er. Dieses Privileg werde auch Bulgarien »einen inflationären Boom verschaffen, der es im Endeffekt seiner Wettbewerbsfähigkeit beraubt und einen weiteren Kostgänger der europäischen Transferunion entstehen lässt«.
Die Frage ist, wie sich eine solche Entwicklung noch verhindern lässt. Dass die EU wirksamen Druck ausübt, ist kaum zu erwarten. Im Gegensatz zur EU lässt sich die amerikanische Regierung nicht auf der Nase herumtanzen. Im Juni setzte Washington drei bulgarische Oligarchen und 64 Unternehmen auf eine Liste nach dem sogenannten Magnitsky Act.
Dieser ermächtigt die US-Regierung, das Vermögen von Großkriminellen und Menschenschindern einzufrieren und ihnen die Einreise in die USA zu verweigern. Die Folgen für die Betroffenen sind erheblich, der Akt ist ein wirksames Instrument zur Korruptionsbekämpfung. Entsprechend erfreut reagierte die neue bulgarische Regierung.
Von der EU erwarten die Reformer dagegen nichts. Wenn er von den Amerikanern Hilfe im Kampf gegen die Korruption erbitte, sei sie in zwei Tagen da, sagt Finanzminister Wassilew. Europa verfasse nichtssagende Berichte und warte ab. Auch aus Deutschland bekomme er keine Unterstützung, »Dass die bulgarische Regierung die Amerikaner um Hilfe ersuchen muss, ist kein gutes Signal für die EU«, sagt Grünenparlamentarier Freund.
Bei einem Abendessen mit männlichen und weiblichen Abgeordneten aus dem Reformlager sagt einer, dass es in Bulgarien ernsthafte Reformen gegeben habe, solange das Land um den EU-Beitritt ringen musste. Nach dem Beitritt sei der Eifer dann schlagartig erlahmt. Genauso werde es auch beim Euro kommen, so die Sorge.
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