Wirtschaftsnachrichten Österreich, 06/2020, S. 25.
Für eine europäische „Lösung“ liegen nun vorerst zwei Vorschläge auf dem Tisch. Die Variante Merkel/Macron, die nicht rückzahlbare Zuschüsse für bedürftige Mitgliedländer vorsieht, und die Variante der „Sparsamen Vier“ Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande, die diese Zuschüsse an Kreditvereinbarungen knüpfen wollen. Wie bewerten Sie beide Vorschläge aus ökonomischer Sicht?
Sebastian Kurz hat vollkommen recht, wenn er von der Schuldenunion durch die Hintertür spricht. Seit 2010 erleben wir eine Vergemeinschaftungsaktion nach der anderen. Immer geht es darum, den Konkurs von Mittelmeerländern abzuwenden und damit die französischen Anleger, wie insbesondere die Banken und Versicherungsgesellschaften, zu schützen, die den Löwenanteil der Forderungstitel halten. Das französische Exposure gegenüber Griechenland war damals fast doppelt so groß wie das deutscher Institutionen, und heute ist das französiche Exposure gegenüber Italien vier Mal so groß wie das deutsche. Stets erzwingt Frankreich den Bail-out zum eigenen Schutz, aber nach Artikel 125 AEUV ist der verboten. Ich hoffe, die „Sparsamen Vier“ nutzen ihr Vetorecht und bleiben unbestechlich. Nach der herrschenden Rechtslage ist der EU die Aufnahme von Schulden eindeutig verboten, und neue Verträge verlangen Einstimmigkeit. Helfen muss man, aber nicht indem man die Lasten der Hilfe vor den Steuerzahlern versteckt. EU-Schulden sind eine Versteckaktion.
Einzige Strategie der Politik scheint eine weitere Ausweitung der Schulden und der Geldmenge zu sein, um Staaten und Wirtschaft liquide zu halten. Wäre ein Schuldenschnitt eine Alternative?
Ja, die wesentlich bessere. Wenn die Schuldner pleite sind, muss einer die Zeche übernehmen. Entweder die Gläubiger, die sich verspekuliert haben, oder die Steuerzahler als unbeteiligte Dritte. Die Lobbys der Banken und Großinvestoren bedrängen die Politiker, Ersteres zu tun. Aber zum Glück gibt es noch standhafte Politiker, die auch das Wohl der Bürger im Sinn haben. Sebastian Kurz hat seine Standhaftigkeit mehrfach bewiesen. Dies wird für ihn eine weitere Bewährungsprobe.
Die Anleihenkauf- und Preisstabilitätspolitik der EZB erzeugt ihre eigenen ökonomischen Gesetze, so scheint es. Kommen wir in eine Phase eines „Quasi“-Staatskapitalismus? Und hilft das eigentlich beispielsweise gegen die Redkordarbeitslosigkeit?
Die Gefahr besteht. Der Markttest wurde in den letzten Jahren immer mehr ausgehebelt. In der Corona-Krise kann man die Rettung der Firmen zwar besser begründen als vorher, denn nun kommen auch Geschäftsmodelle ins Wanken, die eigentlich funktionieren. Deswegen sind Rettungsaktionen heute grundsätzlich richtig. Jedoch werden Maß und Mitte heute nicht mehr genug beachtet. Das Füllhorn staatlicher Mittel, die allzu häufg aus den Druckerpressen des Eurosystems stammen, wird hemmungslos ausgeschüttet. Eine gesunde Wirtschaft mit wettbewerblichen Arbeitsplätzen entsteht so nicht.
Das Interview führte Stefan Rotbart.
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