Es war ein Moment seltener Einigkeit in der Ampelkoalition: Er wolle sich ganz herzlich bei seinem Kollegen Christian Lindner bedanken, sagte Hubertus Heil Anfang März. Da stellten die Minister gerade das Rentenpaket II vor, die lange angekündigte große Rentenreform. Ja, setzte Heil noch eins drauf, hier habe Gutes zusammengefunden.
Die Rente soll endlich reformiert werden. Zukunftsfest wird sie mit den Plänen der Regierung aber nicht. Was es braucht? Ein Rettungsplan in sieben Punkten.
Für Heil, Bundesarbeitsminister, besteht das Gute darin, das Rentenniveau weitere 15 Jahre bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens festzuschreiben. Ganz im Sinne seiner SPD. Vereinfacht gesagt: Den Deutschen wird garantiert, dass Löhne und Renten weiter im Gleichschritt steigen. Im Gegenzug soll die FDP von Finanzminister Lindner den Einstieg in eine kapitalgedeckte gesetzliche Rente bekommen, Projektname: Generationenkapital. Kapitalgedeckt bedeutet: Die Renten werden nicht mehr nur aus den Beiträgen der aktuell Arbeitenden gezahlt, sondern auch aus einem zuvor angesparten Kapital.
Doch die Einigkeit zwischen SPD und FDP währte nur kurz. Wenige Wochen später ging der Koalitionsstreit um die Rente aufs Neue los – und dauert bis heute an. „Dieses Gesetz ist noch nicht fertig“, sagte gerade Johannes Vogel, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, im Bundestag. Vogels Parteichef Lindner konzentriert sich derweil lieber auf seine Reformpläne für die staatlich geförderte private Altersvorsorge. Zudem trägt die FDP in Sachen Rente offenbar auch einen internen Profilierungskampf aus.
Seit Schröder keine Reform
Und den Regierten fehlt der Glaube: 86 Prozent der Bürger gehen davon aus, dass das Rentenniveau perspektivisch sinken wird. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Initiative Minderheitsaktionäre, deren Ergebnisse der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegen.
Ein Grund: Gerade beginnt Wirklichkeit zu werden, was seit Jahrzehnten erwartet, ja, gefürchtet wird. Die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, gehen in den Ruhestand. In den vergangenen fünf Jahren erhielten pro Jahr durchschnittlich knapp 840.000 Rentnerinnen und Rentner erstmals eine Altersrente. Schon vom kommenden Jahr an dürften es mehr als eine Million Menschen sein.
Erst in den 2030er-Jahren, mit den Nachwirkungen des Pillenknicks bei den Geburten, wird der Zustrom nachlassen. Die steigende Anzahl an Renten muss bezahlt werden, von den Beitragszahlern. Gleichzeitig werden auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung massiv steigen, angesichts von Milliardenlöchern wohl schon 2025. Ein toxischer Mix.
„Wenn heute nicht zügig gegengesteuert wird, bleiben die Finanzierungsprobleme bei der Rente in den nachfolgenden Jahrzehnten aller Voraussicht nach unverändert groß“, sagt der Ökonom Martin Werding, der als Rentenexperte dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) angehört.
Seit bald 20 Jahren hat keine Bundesregierung mehr eine Rentenreform gewagt, die das System stabilisieren würde. Zuletzt hatten SPD und Grüne unter Gerhard Schröder den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, der die Quote von Rentnern zu Beschäftigten bei der Rentenanpassung berücksichtigt, und danach das Rentenalter schrittweise auf 67 angehoben. Den Faktor wollen die Sozialdemokraten jetzt mit dem Rentenpaket II wieder abräumen. Und das Rentenalter von 67 haben sie während der großen Koalition mit der Einführung der Rente ab 63 zum Teil zurückgedreht. Auch die von CDU und CSU damals initiierte Mütterrente kostet jedes Jahr viele zusätzliche Milliarden Euro.
Ähnliches erwartet das Arbeitsministerium nun für das Rentenpaket II: 2030 lägen die Ausgaben nach der Reform gut neun Milliarden Euro höher als bei geltendem Recht. 2035 wären es schon gut 28 Milliarden Euro, 2040 etwa 40 Milliarden Euro mehr.
Von Entlastung also keine Rede. Dabei braucht es für ein nachhaltiges Rentensystem kein Geheimwissen. Ein Rettungsplan für die Rente ist politisch schwer durchsetzbar, aber möglich: die wichtigsten Maßnahmen im Überblick.
1. Nur Inflation ausgleichen
Der demografische Umbruch wurde lange ausgeblendet. In Rente gingen relativ schwache Kriegs- und Nachkriegsjahrgänge. Am Arbeitsmarkt lief es rund. Die Lebenserwartung stieg weniger als angenommen. „Die Herausforderung ist kleiner als früher prognostiziert“, sagt Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung.
Doch sie bleibt eben das: eine Herausforderung. Eigentlich soll die demografische Last zwischen Beitragszahlern und Rentnern mit dem Nachhaltigkeitsfaktor verteilt werden. Verschlechtert sich das Zahlenverhältnis, kommen also weniger Beitragszahler auf einen Rentner, steigt die Rente weniger stark. Wenn die Bundesregierung das Mindestrentenniveau 48 Prozent nun bis 2040 festschreibt, wird der Nachhaltigkeitsfaktor aber ausgehebelt. Das Rentenniveau setzt eine Rente nach 45 Jahren mit Durchschnittseinkommen ins Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen, jeweils nach Sozialbeiträgen.
Sobald das Rentenniveau unter 48 Prozent fällt, soll die Rente erhöht werden, so der Ampelbeschluss. Sonst wäre das Niveau bis 2040 wohl auf knapp 45 Prozent gesunken. Um das zu verhindern, werden die Beiträge steigen. Die bisherige Haltelinie für den Rentenbeitrag bei 20 Prozent des Bruttolohns soll wegfallen. 2026 könnte der Beitrag von 18,6 Prozent, je hälftig getragen von Beschäftigtem und Arbeitgeberin, auf fast 20 Prozent springen, 2035 dann mehr als 22 Prozent betragen. Drei Prozentpunkte mehr beim Rentenniveau entsprechen nach einer Faustformel anderthalb Prozentpunkten mehr Beitragssatz.
Bei sinkendem Rentenniveau würden „Rentnerinnen und Rentner von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Sie werden im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung ärmer“, begründet die Bundesregierung ihren Plan. Schon heute bekommen fast 730 000 Menschen, knapp vier Prozent der 19 Millionen Altersrentner, Sozialhilfe im Alter, weil ihr Einkommen nicht für den Lebensunterhalt reicht – ein Rekord.
Doch es gibt effektivere Vorschläge gegen Altersarmut als eine künstliche Anhebung des Rentenniveaus – und diese könnten das Rentensystem stabilisieren. So schlagen die Wirtschaftsweisen vor, Bestandsrenten künftig nicht mehr mit den Löhnen zu erhöhen, sondern mit der Inflation. Das würde die Kaufkraft im Alter sichern, die Ausgaben aber begrenzen.
Länger arbeiten, weniger Frührentner
2. Renten stärker Staffeln
Weil die Armutsgefährdung mit der Kopplung der Rente an die Inflation erst mal zunimmt, sollte die Rente künftig nach Einkommen gestaffelt bemessen werden, so die Wirtschaftsweisen. Geringverdiener würden pro Euro Beitrag höhere Rentenansprüche erwerben als Besserverdiener.
Damit brechen die Weisen mit dem Äquivalenzprinzip: Normalerweise soll die Rente umso höher sein, je mehr jemand lebenslang eingezahlt hat. Doch schon heute wird das Prinzip aufgeweicht, etwa mit der Grundrente, die Renten von Geringverdienern teils aufwertet. Zudem leben Menschen mit niedrigerem Einkommen im Schnitt kürzer, erhalten also auch kürzer Rente – was den Schritt zusätzlich rechtfertigt.
Manche fordern außerdem, die Beitragsbemessungsgrenzen abzuschaffen. Derzeit müssen Versicherte auf maximal 7450 Euro (Ost) beziehungsweise 7550 Euro (West) den monatlichen Rentenbeitrag zahlen. Bei Wegfall der Grenze müssten sich auch Spitzenverdiener unbegrenzt beteiligen. Würden sie wegen einer Einkommensstaffelung für hohe Beiträge aber keine zusätzlichen oder nur geringe Rentenansprüche erwerben, könnten manche erwägen, Deutschland zu verlassen. Damit wäre niemandem gedient.
Sicher ist: Die gestaffelte Rentenberechnung würde Altersarmut zielgerichteter bekämpfen – und sie wäre wirkungsvoll: Auch damit könne der Beitragssatz durchgängig auf 19 bis 20 Prozent vom Bruttolohn begrenzt werden, sagt der Wirtschaftsweise Werding. Doch auch Werding weiß, wie sehr Regierungen Reformen scheuen, die zwar das System stabilisieren, aber Rentnerinnen und Rentner vorerst belasten würden. Es gebe schließlich eine strukturelle Mehrheit an Menschen, die bald oder bereits Rente beziehen. Die Folge seien häufig rentenpolitische Wahlgeschenke.
3. Frührente einschränken
Werding selbst ist 1964 geboren, in dem Jahr, in dem die meisten Babyboomer zur Welt kamen. Er vermisst eine echte Rentenreform, die die Beitragssätze dämpfen und das Sicherungsniveau stabilisieren würde, „ohne dass man es politisch festschreiben müsste“. Dazu müssten die Menschen – mehr oder weniger freiwillig – länger arbeiten.
Wer 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, kann ohne Abschläge vorzeitig in Rente. Und diese Rente ab 63, wie sie auch genannt wird (die tatsächliche, jahrgangsabhängige Altersgrenze liegt schon bei mehr als 64), ist sehr beliebt. 2023 nutzten gut 279.000 Versicherte diese Option. Ein Jahr zuvor waren es etwa 262.000 Menschen. Als 2014 die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles die Rente ab 63 einführte, rechnete die große Koalition nur mit etwa 200.000 zusätzlichen Frührentnern im Jahr. „Die Bundesregierung sollte die Rente ab 63 für künftige Jahrgänge wieder außer Kraft setzen oder zumindest auf langjährige Geringverdiener beschränken“, sagt Werding.
Die Liberalen hat er mit dieser Forderung auf seiner Seite. Eigentlich. Ein Präsidiumsbeschluss der FDP etwa sieht die Abschaffung dieser Frührente vor. Dass es dazu kommen könnte, ist allerdings kaum vorstellbar. Für die SPD ist die abschlagsfreie Frührente nach 45 Beitragsjahren unantastbar. Auch FDP-Chef Lindner will sie jetzt nicht abschaffen, damit das Rentenpaket II wie verhandelt durchläuft.
Doch die Rente ab 63 ist nur das eine. Daneben gehen immer mehr Menschen mit Abschlägen in Frührente. 2023 waren es fast 213.000, noch einmal gut 23.000 mehr als 2022. Insgesamt ging damit mehr als die Hälfte der insgesamt 953.000 neuen Rentnerinnen und Rentner im vergangenen Jahr früher in Rente als vorgesehen. Das Durchschnittsalter beim Rentenstart steigt kaum noch, obwohl der Übergang zur Rente mit 67 eigentlich bis 2031 läuft.
Ökonom Werding rät daher auch zu höheren Abschlägen bei Frührenten. Für jeden Monat, den jemand vorzeitig in Rente geht, liegt der Abschlag bei 0,3 Prozent, pro Jahr 3,6 Prozent: „Stattdessen müssten es fünf bis sechs Prozent sein.“
Dass die Abschläge zu gering sind, zeigt eine Beispielrechnung: Angenommen, eine heute 60-Jährige will nur bis 63 arbeiten. Sie kann, wenn sie die für eine abschlagsfreie Frührente nötigen 45 Beitragsjahre nicht erreicht, dann entweder vier Jahre auf ihre reguläre Rente warten – oder eine Frührente mit Abschlag beziehen. Wenn sie den Abschlag freiwillig ausgleicht, wird ihre Rente nicht geschmälert. Im Szenario mit Frührente bekommt sie diese aber vier Jahre länger. Bei angenommenen 2000 Euro Rentenanspruch mit 63 würde der Abschlagsausgleich die Frau gut 72.000 Euro kosten. Viel Geld, so scheint es. Doch tatsächlich bekommt die Frührentnerin dafür vier Jahre lang monatlich 2000 Euro, in Summe 96.000 Euro – ein Drittel mehr, als der Abschlagsausgleich kostet.
4. Lebensarbeitszeit erhöhen
Werding nennt ein weiteres „Aufregerthema: Die Regelaltersgrenze muss nach 2031 weiter erhöht werden.“ Auch der ehemalige Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, plädiert für „eine automatisierte Erhöhung des Renteneintrittsalters“. Ohne eine solche Anpassung verschlechtert sich die Relation von Rentnern zu Erwerbstätigen automatisch, weil die Lebenserwartung steigt. Im deutschen Umlagesystem, bei dem Beitragsgeld ganz überwiegend sofort als Rente ausgezahlt wird, ist das ein Problem.
Der meistgenannte Vorschlag ist, den Renteneintritt an die Lebenserwartung zu koppeln. Ein zusätzliches Jahr Lebenserwartung würde aufgeteilt in zwei Drittel längere Arbeitszeit und ein Drittel längere Rentendauer – mit Härtefallregeln. Denn mit Verweis auf Menschen, die als Dachdecker oder Krankenschwestern arbeiten, schließt Arbeitsminister Heil alles kategorisch aus, was nach Rente mit 69 oder gar 70 klingt. Dabei würde sich das Eintrittsalter beim automatischen Anstieg nur etwa alle 20 Jahre um ein Jahr verschieben.
Würde die Altersgrenze, diesem Vorschlag folgend, weiter heraufgesetzt, würde dies die Rente langfristig stützen und den Beitragsanstieg dämpfen, rechnet der Sachverständigenrat vor: Das Rentenniveau läge 2080 1,4 Prozentpunkte höher und die Beitragssätze wären 1,2 Prozentpunkte niedriger als ohne höheres Eintrittsalter. Statt solche Reformen anzugehen, will die Ampelkoalition die Menschen lieber dazu bewegen, im Alter länger zu arbeiten. Sie will befristete Verträge für Rentner erleichtern – und lockt mit Geld.
Bislang bekommt jeder, der später in Rente geht, für jeden Monat Rentenaufschub 0,5 Prozent Aufschlag. In Zukunft sollen sich die Beschäftigten, die im Rentenalter noch arbeiten, die vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge auszahlen lassen können. Beim Durchschnittslohn entspricht das monatlich etwa 430 Euro mehr, vermutlich netto, die genaue Besteuerung ist noch unklar.
Als dritte Option soll es möglich sein, die durch den späteren Rentenstart entgangenen Renten über bis zu drei Jahre anzusammeln und plus gut acht Prozent Bonus ab 2028 zu erhalten, als Einmalzahlung, voraussichtlich steuerpflichtig, aber abgabenfrei. Bei dieser Variante käme das Geld also am schnellsten an, auf einen Schlag, nicht als lebenslanges Rentenplus.
Wer soll einzahlen?
5. Neue Beitragszahler finden
Die Tendenz, einen flexiblen und späteren Rentenstart zu erleichtern, ist richtig. Doch die neuen Pläne, vor allem hohe Einmalauszahlungen, könnten die Rentenkasse schwächen. Außerdem würden sie für die Kranken- und Pflegeversicherung weniger Beitragseinnahmen bedeuten. „Mit Blick auf die Prognosen zur Unterdeckung dort in den nächsten Jahren könnte ich mir vorstellen, dass diese Rentenmaßnahmen noch mal überdacht werden“, sagt Andreas Irion vom Bundesverband der Rentenberater.
Für manche ist die Lösung aller Rentenprobleme einfach: Sie wollen, dass endlich auch Selbstständige und Beamte dort einzahlen. In solch einer Erwerbstätigenversicherung gäbe es mehr Beitragszahler und damit mehr zu verteilen. Tatsächlich setzen viele Länder mit überdurchschnittlichen Renten auf eine solch breite Finanzierung. Trotzdem ist die Forderung umstritten.
Die Finanzierungsprobleme der Rentenkasse würden damit nicht gelöst, heißt es im Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen: Einer kurzzeitigen Entlastung stünden langfristig verschärfte Finanzierungsprobleme gegenüber – schon wegen einer überdurchschnittlichen Lebenserwartung der Beamten und Selbstständigen.
Angesichts der akuten Herausforderungen würde solch ein Umbau also kaum helfen. Alle heutigen Beamten einzubeziehen wäre – abgesehen von rechtlichen Fragen – besonders schwierig. Sie hätten bisher nicht eingezahlt, aber je nach Ausgestaltung bereits Ansprüche. Womöglich müssten Bund, Länder und andere Dienstherren Geld nachzahlen. Doch womit? Ein Großteil der heutigen Pensionsverpflichtungen ist nicht mit Kapital unterlegt. Zudem liegen gesetzliche Renten weit unter den Beamtenpensionen. Kaum vorstellbar, dass eine Regierung sich da herantraut.
Bereits lange geplant ist jedoch eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Diese sollen künftig in der Rentenversicherung pflichtversichert werden, wenn sie nicht bereits einem obligatorischen Alterssystem angehören – etwa einem berufsständischen Versorgungswerk – oder sich selbst absichern. Dieser Plan stand schon im Koalitionsvertrag, ist aber bis heute nicht umgesetzt.
Einen stärkeren Effekt hätte es allerdings, wenn mehr Mütter in Vollzeit arbeiten würden – und dann mehr Rentenbeiträge zahlten. Zwar haben sich die Erwerbstätigenquoten je nach Alter des jüngsten Kindes zwischen 2005 und 2022 bereits deutlich erhöht, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. In Familien, in denen das jüngste Kind zwischen sechs und zehn Jahren alt ist, sind jetzt etwa 80 Prozent der Frauen erwerbstätig, gegenüber nur 66 Prozent 2005. Doch zu mehr als zwei Dritteln arbeiten sie in Teilzeit. Eine bessere Kinderbetreuung könnte mehr Frauen in Vollzeit bringen – und der Rentenkasse mehr Beiträge.
6. Renditen steigern
Den Beitragseinnahmen sind trotzdem Grenzen gesetzt. Auch die Steuerzuschüsse von zuletzt mehr als 110 Milliarden Euro können nicht beliebig ausgeweitet werden. Deshalb soll künftig eine weitere Finanzierungsquelle das Rentensystem stabilisieren: das Generationenkapital.
„Warum sollte ausgerechnet Deutschland mit seiner hervorragenden Bonität die Kapitalmärkte nicht für sich nutzen?“, fragt Anja Mikus. Sie setzt darauf, dass auch die gesetzliche Rente vor allem über Aktien von Wohlstand und Produktivität in aller Welt profitieren sollte. Mikus leitet den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, kurz Kenfo, den ersten deutschen Staatsfonds. Bald soll sie ein weiteres Mandat übernehmen: für die Rentner hierzulande.
Es ist eine Zäsur für das Rentensystem: Die Bundesregierung will einen Kapitalstock aufbauen, dafür in diesem Jahr zwölf Milliarden Euro Schulden aufnehmen und bis 2036 etwa 200 Milliarden Euro fast ausschließlich kreditfinanziert einzahlen. Die Milliarden sollen an den Finanzmärkten angelegt werden, und aus den erhofften Renditen von Mitte der 2030er-Jahre an jährlich zehn Milliarden Euro an die Rentenversicherung fließen. Dieses Geld soll dann den Anstieg des Beitragssatzes dämpfen.
So weit die Theorie. Für die Praxis ist Mikus zuständig. Ihr Team hat sich bereits bewährt. Aus den Erträgen des Kenfo wird der Rückbau der Atommeiler finanziert. Jährlich fließt ein dreistelliger Millionenbetrag, etwa für die Kosten der Lagerung des radioaktiven Abfalls. Seit 2019 hat der Atomfonds Renditen zwischen gut acht und zuletzt knapp über elf Prozent erzielt, mit Ausnahme von 2022. Im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine verlor der Kenfo 12,2 Prozent.
Von den Schweden lernen
Kritiker erwarten sich vom Generationenkapital allerdings nicht die Rettung der Rente. „Es braucht eine Ansparphase von mindestens 15 Jahren, bis ein solches System nennenswerte Erträge abwirft“, gibt der Ökonom Bert Rürup zu bedenken: „Aber dann ist unser demografisches Problem zum großen Teil überstanden.“ Anders gesagt: Der Einstieg in die kapitalgedeckte Rente kommt zu spät, weil die Boomer schon in Rente gehen.
Die jährlich zehn Milliarden Euro Entnahme ab 2036 decken nur etwa ein Viertel der 2040 erwarteten Mehrausgaben, die laut Arbeitsministerium mit dem Rentenpaket II entstehen. Zudem fiele der Anstieg des Beitragssatzes bis 2040 selbst bei einem wie geplant laufenden Generationenkapital nur 0,3 Prozentpunkte geringer aus. Laut Imke Brüggemann-Borck, Leiterin des Dezernats Finanzierung der Deutschen Rentenversicherung, werde das Generationenkapital künftig nur knapp 1,5 Prozent der Gesamteinnahmen der Rentenkasse ausmachen.
„Wenn die Bundesregierung wirklich an das Konzept glaubt, warum hängt sie dann nicht eine Null an die eingesetzten Beträge? Dann kämen ab 2036 gleich 100 Milliarden Euro im Jahr raus“, sagt Helmut Aden, Vorstand in der Deutschen Aktuarvereinigung, dem Berufsverband der Versicherungsmathematiker.
Das Generationenkapital basiere allein auf dem Prinzip Hoffnung. „Rein rechnerisch ist es ein smartes Vehikel, um aus nichts etwas zu machen. Die Idee dahinter, also kreditfinanzierte Finanzmarktinvestments, ist das Prinzip eines Hedgefonds.“ Es werde suggeriert, dass Altersvorsorge auch ohne Konsumverzicht funktioniert. „Wie praktisch! Das tut niemandem weh“, sagt Aden.
Die genauen Rechenannahmen zum Generationenkapital hat die Bundesregierung nicht veröffentlicht. Bei einem Kreditzins von 2,5 Prozent und einer Kapitalrendite von 5,0 Prozent könnten die angestrebten Werte erreichbar sein. In den Niedrigzinsjahren erschien ein Kreditzins von 2,5 Prozent unproblematisch. Doch mittlerweile muss der Bund selbst auf zehnjährige Bundesanleihen wieder etwa 2,2 Prozent im Jahr zahlen. Steigen die Zinskosten weiter, müsste die erzielte Rendite höher ausfallen.
So sinnvoll eine Ausweitung der Rentenfinanzierung am Kapitalmarkt also ist: Magische Kräfte wird das Generationenkapital nicht entfalten. Ursprünglich hieß das Konzept Aktienrente. Nach Plänen der FDP sollte ein Teil des Rentenbeitrags – die Rede war von zwei Prozentpunkten – am Kapitalmarkt angelegt werden. So solle die Rente „nach schwedischem Vorbild enkelfit“ werden, pries die FDP ihre Idee. Doch weil der Rentenversicherung so Beitragsmittel entzogen worden wären, stellten SPD und Grüne sich quer.
Auch in der heutigen Form befürworten aber laut Forsa-Umfrage noch 69 Prozent der Bürger die Einführung des Generationenkapitals. Unter den 18- bis 29-Jährigen beträgt die Zustimmungsquote sogar 80 Prozent.
7. Vom Ausland lernen
Einige FDP-Abgeordnete würden bei den Beratungen im Bundestag jetzt noch gerne eine echte Rente nach schwedischem Vorbild durchsetzen. Sie denken dabei an den Pensionsfonds AP7, mit dem mehr als fünf Millionen Schwedinnen und Schweden ihre Altersbezüge aufbessern. 2,5 Prozentpunkte von 18,5 Prozent Beitragssatz werden dafür genutzt. Von Mai 2010 bis Ende 2023 hat der dortige altersabhängige Mix aus Aktien und Anleihen im Schnitt 13,3 Prozent Jahresrendite gebracht. Das zeigt, wie effektiv eine kapitalgedeckte Rente funktionieren kann.
Allerdings gibt es ein paar Unterschiede zum deutschen Rentensystem. So zahlen in Schweden alle – auch Beamte und Selbstständige – ins umlagefinanzierte Rentensystem ein. Statt eines festen Renteneintrittsalters wie in Deutschland gibt es einen Korridor: Derzeit können Beschäftigte frühestens mit 63 in Rente gehen, mit fünf bis sechs Prozent Abschlag pro Jahr. Die volle Rente gibt es ab 66, von 2026 an ab 67 Jahren, Tendenz weiter steigend. Wer länger arbeitet, bekommt schon jetzt Zuschläge.
Wichtiger Bestandteil der Altersbezüge sind in Schweden die Betriebsrenten: Etwa 90 Prozent der Beschäftigten werden durch eine betriebliche Altersversorgung mit abgesichert, meist fondsgebunden. Sie trägt um die 30 Prozent zur Gesamtrente bei.
Als Vorbild in Sachen Rente gilt vielen auch Österreich mit seinen hohen Renten. So errechnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass die Rente dort nach einem vollen Erwerbsleben bei Durchschnittsverdienern 87,4 Prozent des Einkommens ersetzt, jeweils nach Steuern und Sozialabgaben. In Deutschland sind es laut OECD nur 55,3 Prozent.
Wie Österreich das schafft? Zunächst zahlen dort ebenfalls auch Selbstständige und zunehmend Beamte ein. Die höhere Anzahl Pflichtversicherter führe im Schnitt zu einem knapp 160 Euro höheren Rentenanspruch, hat die Deutsche Rentenversicherung Bund errechnet. Höhere Beitragssätze bringen demnach 156 Euro mehr Rente als in Deutschland, eine jüngere Bevölkerung 139 Euro mehr und höhere Bundeszuschüsse im Schnitt noch mal 97 Euro pro Rentner und Monat. Eine niedrigere Erwerbsquote als in Deutschland drückt die Zahlung etwas. Ein Rentenanspruch besteht im Nachbarstaat außerdem erst nach 15 Versicherungsjahren, nicht nach fünf Jahren wie in Deutschland.
Die Renten in Österreich steigen nur mit der Inflation, nicht mit den Löhnen – und die Erhöhung wird bei besonders hohen Renten auf einen festen Euro-Betrag gedeckelt. Das mag Rentner weniger freuen, trägt aber zur Stabilität des Systems bei.
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