E-Autos laut deutschem Ökonomen schmutziger als Dieselautos - Lösung für Klimaproblem wäre weltweiter Zertifikatehandel - Chinas Energiehunger ist enorm.
Wien (APA) - Der deutsche Ex-ifo-Chef Hans-Werner Sinn lässt kein gutes Haar an der Klimapolitik von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das "Sammelsurium an Detailmaßnahmen", mit denen das neue 55-Prozent-CO2-Reduktionsziel umgesetzt werden soll, lasse an "zentralplanerische Vorgaben" denken. Und die Vorgaben für die Autobauer seien eine Mogelpackung, "das erinnert an die Abschaltvorrichtung der Automobilindustrie". E-Autos seien schmutziger als Dieselautos.
Grundsätzlich sei Klimapolitik nötig, da die Erderwärmung "nicht eine Einbildung überdrehter Wissenschafter ist", sagte Sinn anlässlich der Verleihung des Houskapreises der B&C Privatstiftung für anwendungsnahe Forschung am Donnerstagabend zu Wiener Journalisten. Die derzeit in der Rede stehenden Maßnahmen der EU ("Green Deal") greifen aber nach Ansicht des bekannten Ökonomen viel zu kurz.
Der Grund: Die Welt sei über die Märkte für fossile Brennstoffe, insbesondere Öl und Gas, miteinander verbunden. Wenn Europa weniger Öl und Gas verbrauche, gehe dieses eben woanders hin. "Die Amerikaner fahren noch größere SUVs, die Asiaten tun das auch", so Sinn. Das nicht verbrauchte Öl bleibe - im Unterschied zur Kohle - nicht einfach in der Erde. "Die Ölscheichs und Putins Gasoligarchen tun das nicht." Es könnte sogar so sein, dass die "Ölscheichs" aufgrund des "grünen Säbelrasselns" in der EU zunächst noch mehr extrahieren - wenn sie befürchten, dass ihr Geschäft bald zusammenbricht. Der Ölverbrauch habe sich bisher nie von Nachfrageschwankungen irritieren lassen, er sei "absolut stabil".
Besonders ein Dorn im Auge sind Sinn die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission für die Automobilindustrie. Demnach sollte der CO2-Ausstoß von Autos von 2021 bis 2030 um 50 Prozent pro Kilometer sinken. Seit Frühjahr 2019 steht schon fest, dass die CO2-Emission von Neuwagen bis 2030 um 37,5 Prozent im Vergleich zu 2021 verringert werden soll. Und seit heuer sollen alle in der EU zugelassenen neuen Pkw im Schnitt einen CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer einhalten. Dies auf 47,5 Gramm zu drosseln, sei unmöglich, meint Sinn. "Kein Ingenieur der Welt wird in der Lage sein, ein Auto mit 1,8 Liter Dieselverbrauch pro 100 Kilometer auf die Straße zu bringen." Zum Vergleich: In Deutschland lag der Durchschnittsdieselverbrauch 2018 bei rund 7 Litern je 100 Kilometer.
Das alles werde nur gemacht, um Elektroautos "dirigistisch" in den Markt zu pressen, ist Sinn überzeugt. Dass in der Rechnung der EU-Kommission strombetriebene Autos mit einem CO2-Ausstoß von null angesetzt werden, sei eine Schummelei. "Beim heutigen Energiemix sind Elektroautos sogar noch CO2-schmutziger als Dieselautos." Die Stromherstellung passiere nämlich noch immer mit sehr viel Kohle, vor allem in Osteuropa. Die Batterien kämen zu einem großen Teil aus China, "die werden mit enorm hohem Energieaufwand mit Kohle hergestellt", sagte Sinn. Ein EAuto müsste 219.000 Kilometer fahren, bis es puncto CO2 mit einem Diesel-Pkw gleichauf wäre. Im Schnitt betrage die Lebensdauer eines Autos aber nur 190.000 Kilometer.
Der frühere Chef des Münchner ifo Instituts sprach von einem "naiven Glauben an die Macht der Zentralplanung in Brüssel". Er könne "nur davor warnen, diesen Weg zu gehen. Wir machen nur die Industrien kaputt und das bringt gar nichts". Hinter dem E-Auto-Lobbying stünden vor allem die französische Atom- und die dortige Autoindustrie; dass Deutschland mit seinen großen Autobauern dem EU-Plan zugestimmt hat, verstehe er nicht. Netto wäre es für das Weltklima sogar besser, in Europa zunächst mehr Öl zu verbrauchen, so Sinn.
Auch zu China äußerte sich der deutsche Ökonom. China stehe für 28 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. "Die sehen aber nicht ein, dass sie sich einschränken sollen." In China wachse zwar Wind- und Solarenergie - der Anteil der grünen Energie liege bei einem Fünftel -, aber eben auch der Bestand an Kohlekraftwerken und damit die schädlichen CO2-Emissionen, "und zwar gewaltig". Im ersten Halbjahr sei im Schnitt alle zehn Tage ein neues Kohlekraftwerk im Reich der Mitte errichtet worden. Die auch in China boomenden Elektroautos "kommen additiv hinzu", so Sinn.
Chinas Präsident Xi Jinping hat am Dienstag erklärt, dass sein Land seinen CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren steigern werde. "Noch vor" 2030 solle der Emissionshöhepunkt erreicht werden, und "vor" 2060 wolle die Volksrepublik klimaneutral werden. China hat noch immer einen Kohlestromanteil von rund 60 Prozent und hat mittlerweile einen höheren Pro-Kopf-Kohlenstoffausstoß als Europa. 2019 lag dieser in der EU und Großbritannien bei 6,47 Tonnen, in China bei 8,12 Tonnen und in den USA bei 15,52 Tonnen.
Beim absoluten Ausstoß hatte China laut Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) zuletzt (2018) mehr als 9,5 Mrd. Tonnen die Nase weit vorn, die USA kamen auf 4,9 Mrd. Tonnen und die EU-28 auf 3,15 Mrd. Tonnen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass von diesen drei Weltregionen nur die EU ihren Ausstoß merklich reduziert hat: 1990 waren die Länder der Union laut IEA-Daten noch für CO2-Emissionen von mehr als 4 Mrd. Tonnen verantwortlich. Der CO2-Ausstoß der USA lag damals bei 4,8 Mrd. Tonnen, 2019 bei 4,77 Mrd. Tonnen. Chinas Kurve ist steil angewachsen, denn im Jahr 1990 hat das Land erst 2,1 Mrd. Tonnen CO2 in die Luft geblasen.
Ökonom Sinn sieht nur eine Lösung: einen weltweiten Emissionshandel, wie es ihn jetzt schon für die Kraftwerke in Europa gibt. Der Wissenschafter verwies außerdem auf das Kyoto-Protokoll, das den Transfer von Verschmutzungsrechten zwischen den Unterzeichnerländern erlaubt. "Die Länder, die sich zu einer Mengenreduktion verpflichtet haben, können andere Länder dafür bezahlen, es für sie zu tun", erklärte Sinn. Das System des Emissionszertifikatehandels funktioniere; die Einschränkung von Kohle sei nur ein kleiner Beitrag.
Problematisch findet Sinn überdies die Taxonomie-Verordnung der EU von Dezember, nach der Investitionen, die für besonders nachhaltig befunden werden, einen bevorzugten Finanzierungszugang etwa über die EIB bekommen sollen. Dies sei, als ob von der Leyen "einen grünen Pinsel nimmt und die Obligationen der Firmen, die Schuldscheine, die sie auf den Märkten ausgeben, grün anmalt". Und je nachdem, wie "grün" diese seien, führe das zu einer Zinsdifferenzierung, weil die Europäische Zentralbank (EZB) darauf reagiere. "Die EU benutzt den Hebel der EZB", das sei ein unzulässiger Eingriff in den Kapitalmarkt und "sicher ein Fall für den Verfassungsgerichtshof in Deutschland".
snu/sp