Der alte Systemwettbewerb zwischen Ost und West galt dem Ziel der militärischen Überlegenheit und ist mittlerweile entschieden. Die Globalisierung und die europäische Integration erzeugen indes einen neuen Systemwettbewerb, dessen Ergebnisse noch unbekannt sind. Der neue Systemwettbewerb dient dem Ziel, die Standortqualität für potente Steuerzahler zu verbessern und die Kostgänger des Staates abzuschrecken, und er folgt gänzlich anderen Gesetzen als der alte.
Die Folgen des neuen Systemwettbewerbs sind drastische Reformen der Regulierungs- und Steuersysteme in vielen Ländern, die aus nationaler Sicht eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bewirken. Auch Deutschland muss sich anstrengen, seinen Reformstau endlich zu überwinden, um nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten. Die Volkswirte sind sich weitgehend einig, wie diese Reformen auszusehen haben.
Eine ganz andere Problematik ergibt sich, wenn man den Systemwettbewerb nicht aus der Sicht des einzelnen Landes sieht, sondern die Perspektiven betrachtet, die sich für alle Länder zusammen ergeben, wenn sie sukzessive in immer neuen Reformrunden dem Systemwettbewerb ausgesetzt sind. Die historischen Prozesse, die erst in Jahrzehnten ablaufen, aber dann um so nachhaltiger merkliche Änderungen hervorbringen, sind noch weitgehend unverstanden. Wie weit reichen die Analogien zwischen dem privatwirtschaftlichen Wettbewerb und dem Wettbewerb der Staaten? Kann man erwarten, dass der Systemwettbewerb ähnlich gut funktioniert wie der Wettbewerb auf privaten Märkten?
Theoretische Analysen zeigen, dass die Antwort auf diese Frage eher negativ ist. Da Staaten eingreifen, wo der Mark versagt, ist zu befürchten, dass die Wiedereinführung des Marktes auf der höheren Ebene des staatlichen Wettbewerbs ebenfalls zu versagen neigt (Selektionsprinzip). So ist beispielsweise zu erwarten, dass der Wettbewerb der Sozialstaaten in einen Abschreckungswettbewerb entartet (USA), dass der Wettbewerb mit Steuern und Infrastruktur letztendlich zur Subventionierung des Kapitaleinsatzes führt (neue Bundesländer) und dass der Wettbewerb von Bankenregulierungssystemen eine gefährliche Verstärkung des Lemon-Banking zur Folge hat (Asienkrise).
Aus diesen Gründen muss die Globalisierung mit einer Änderung der Rahmenbedingungen des Systemwettbewerbs einhergehen. Dazu gehört z.B. der Vorschlag, Zuwandernde nur verzögert in das Sozialsystem zu integrieren, die Kapitaleinkommensteuern in Europa zu harmonisieren, das Beihilfeverbot der EU auf die verbilligte Bereitstellung von Infrastruktur auszudehnen und die Bankenregulierung zu harmonisieren, wie es mit dem Basel II Abkommen geplant ist.
Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Instituts
Wissenschaftliche Veröffentlichungen dazu:
„Risk Taking, Limited Liability and the Competition of Bank Regulators“, FinanzArchiv 59, 2003, S. 305–329.
„Asymmetric Information, Bank Failures, and the Rationale for Harmonizing Banking Regulation. A Rejoinder on Comments of Ernst Baltensperger and Peter Spencer“, Finanzarchiv 59, 2003, S. 340-346.
„Der neue Systemwettbewerb“, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 3, 2002, S. 391-407
„The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition“, Journal of Public Economics 66, 1997, S. 247-274.