Plenum der Ökonomen: Stellungnahme zur Europäischen Bankenunion

Andreas Haufler, Bernd Lucke, Monika Merz, Wolfram F. Richter, 21. September 2012

Auf dem Brüsseler Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 28. und 29. Juni 2012 wurde grundsätzlich die Einführung einer Bankenunion in der Eurozone beschlossen. Dieser Beschluss hat zu zwei unterschiedlichen Aufrufen der deutschen Volkswirte geführt. Der erste Aufruf hat vor den Gefahren einer Vergemeinschaftung der Bankschulden in Europa gewarnt, während der zweite Aufruf (Ökonomenstimme vom 9. Juli 2012) die Vorteile einer EU-weiten Regulierung und Integration des europäischen Finanzsystems als Instrument zur Lösung der Euro-Krise herausgestellt hat. 

Daraufhin hat das Plenum der Ökonomen eine Debatte zur Europäischen Bankenunion durchgeführt und anschließend eine Stellungnahme zur Abstimmung gestellt, die einen grundsätzlichen Konsens der deutschen Volkswirte zur Einführung einer Europäischen Bankenunion sowie über die Grundsätze einer EU-weiten Bankenregulierung formuliert. Zentrale Forderungen sind dabei (i) die Durchsetzung deutlich erhöhter Eigenkapitalstandards; (ii) eine mit wirksamen Durchgriffsrechten ausgestattete europäische Bankenaufsicht, die auch das Recht zur Abwicklung gefährdeter Institute hat; sowie (iii) die Notwendigkeit eines Forderungsverzicht der Gläubiger überschuldeter Banken vor der Inanspruchnahme staatlicher Hilfen.

An der Abstimmung haben sich 237 Kollegen beteiligt, die als Professor an einer deutschen Hochschule oder als deutscher Staatsbürger an einer ausländischen Hochschule volkswirtschaftlich orientierte Fächer lehren oder gelehrt haben. Unter den abstimmenden Kollegen ist die Stellungnahme mit 219 Ja-Stimmen mit überwältigender Mehrheit angenommen worden, bei 10 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen. Zu den Unterstützern der Stellungnahme gehören auch die Initiatoren der beiden ursprünglichen Aufrufe. Dies zeigt, dass unter den deutschen Volkswirten trotz der unterschiedlichen Aufrufe ein breiter Konsens zu den Grundzügen einer europaweiten Bankenregulierung vorliegt.

Die Stellungnahme zur Europäischen Bankenunion

Ein wesentlicher Problembereich der Krise im Euroraum ist die enge Verknüpfung  zwischen der Verschuldung des Finanzsektors und der Staatsverschuldung auf nationaler Ebene. Staatshaushalte müssen für die Refinanzierung ihrer systemrelevanten Banken einstehen. Umgekehrt halten die Geschäftsbanken in großem Umfang Schuldverschreibungen ihrer eigenen Staaten. Dadurch können Bankenkrisen zu Staatsschuldenkrisen werden und umgekehrt. Das Problem verschärft sich derzeit noch dadurch, dass internationale Finanzakteure sich aus Furcht vor Staatsinsolvenzen und/oder einem Auseinanderbrechen des Euroraums aus der Finanzierung der Krisenländer zurückziehen. Dies bedroht die Solvenz hochverschuldeter Staaten und führt zu Spannungen im Euroraum, die den Fortbestand des gemeinsamen Währungsraums in seiner jetzigen Ausdehnung in Frage stellen.

Nur wenn es gelingt, die Refinanzierung der Banken von der Solvenz nationaler Staaten abzukoppeln, kann sich die Kreditversorgung in den Krisenländern stabilisieren. Eine stärkere Integration des europäischen Finanzsystems und eine Entkopplung von Staatsfinanzen und Kreditversorgung können daher eine stabilere Architektur Europas bewirken und dazu beitragen, den Teufelskreis zwischen nationalen Schulden- und Bankenkrisen zu durchbrechen.

Eine Europäische Bankenunion sollte folgende Maßnahmen beinhalten:

  1. In einer Bankenunion sind einheitliche Regulierungsstandards zu schaffen und diese durch eine mit wirksamen Durchgriffsrechten ausgestattete europäische Bankenaufsicht zu gewährleisten. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Durchsetzung deutlich erhöhter Eigenkapitalstandards.
  2. Insbesondere ist für Investitionen in Staatsanleihen eine marktrisikobezogene Unterlegung mit Eigenkapital durchzusetzen. Voraussetzung für diese regulatorische Maßnahme ist allerdings, dass die Risiken einzelner Emittenten auch angemessen in den Preisen der jeweiligen Staatspapiere widergespiegelt werden.
  3. Die europäische Bankenaufsicht soll die Funktion haben, insolvenzbedrohte Banken durch Ablösung der bisherigen Anteilseigner und durch die Umwandlung von Bankschulden in Eigenkapital (Debt Equity Swaps) zu rekapitalisieren. Dazu ist ein einheitliches europäisches Restrukturierungsverfahren notwendig, das es ermöglicht, gefährdete Institute neu aufstellen oder auch abwickeln zu können. Dabei haften zunächst die Eigentümer bis zum völligen Verzehr des Eigenkapitals.
  4. Im Falle einer Überschuldung müssen die Gläubiger der betroffenen Banken Forderungsverzichte auf ihre Einsätze leisten. Davon auszunehmen sind der  Geldmenge M3 zuzurechnende Einlagen von Nichtbanken, die durch ein nationales Einlagensicherungssystem (mindestens bis hin zur europarechtlich gebotenen Obergrenze von 100.000 €) zu schützen sind. Zudem sind Zahlungsverkehrslinien im Interbankenverkehr geeignet zu privilegieren, um den systemisch wichtigen Interbankenmarkt zu schützen.

Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Eurozone zur Bankenunion vom 28./29.6. lassen die notwendige Präzision vermissen. Sie erlauben sehr  unterschiedliche Interpretationen und haben deshalb zu divergierenden Bewertungen unter den Fachkolleginnen und -kollegen geführt. Um zu verhindern, dass unklare Formulierungen in Verträgen und Vereinbarungen zu sinnwidrigen, den ursprünglichen Intentionen zuwiderlaufenden Maßnahmen, genutzt wurden, empfehlen wir der Bundesregierung, sich bei der Umsetzung der o. g. Beschlüsse an den Grundsätzen dieser Stellungnahme zu orientieren.

©KOF ETH Zürich, 21. Sep. 2012

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