„Technologische Aspekte der Energiewende: Synthesepapier zu einer Veranstaltungsreihe der OeNB, Auszug Kapitel 1.6“

Andreas Breitenfellner

Oesterreichische Nationalbank (OeNB), Occasional Paper, September 2024, Nr. 6, Auszug Kapitel 1.6.

1.6 Funktionieren "Verbrennerverbote"? Folgen für Wettbewerbsfähigkeit und Weltklima


Am 14.12.2023 diskutierte Hans-Werner Sinn, emeritierter Präsident des ifo Instituts, mit Angela Köppl, Senior Economist am WIFO.

Sinn meinte, die Politik setze utopische Klimaziele. Die CO2-Emissionen der EU seien von 1990 bis 2020 um 31 % gesunken, deutlich stärker als es das Kyoto-Ziel von 20 % vorsah. Auch das ambitioniertere deutsche Vergleichsziel von 40 % sei 2020 und 2021 gerade erfüllt worden.

Allerdings läge dies daran, dass niedrig hängende Früchte zuerst gepflückt worden seien, die Wirtschaft in der Corona-Krise erstarrt gewesen und vor allem die „schmutzige“ DDR-Industrie untergegangen wäre. Die restlichen 60% des Rückgangs in nur gut 20 Jahren, nämlich bis 2045 zu erreichen, sei unmöglich und gefährliche Träumerei. Österreich habe sein wesentlich bescheideneres Ziel für 2020 mit 6,5 % gerade erreicht, strebe aber nun einen viel steileren Pfad an. Das Land wolle das Netto-Null-Ziel sogar 2040 erreichen, fünf Jahre vor Deutschland bzw. zehn Jahre vor der EU. Die deutsche und europäische Politik setze dabei immer wieder auf Verbote: Ölheizungsverbot ab 2024 (unter strengen Bedingungen), „Verbrenner“-Aus bis 2035, Kohleausstieg 2030 bis 2038, Erdgasausstieg bis 2045. Dieser Neo-Dirigismus erinnere ihn an Zentralverwaltungswirtschaften.

Im Jahr 2020 betrage der Anteil der erneuerbare Energieträger am deutschen Energieverbrauch nur 16,5 %.7 Nicht einmal die Hälfte davon sei Wind- und Sonnenstrom, aber nur dieser Strom könne hochskaliert werden. Es sei jedoch undenkbar, diesen Anteil in nur zwanzig Jahren von 8 % auf 83,5 % zu erhöhen, wie dies Regierungsbeschlüsse implizieren würden. Sinn kritisierte auch den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie. Weltweit seien 434 Kernkraftwerke in Betrieb, die meisten gebe es in den USA, Frankreich und China; 62 würden neu gebaut, weitere 111 seien in Planung und 326 in Vorplanung. 

Das „Verbrenner-Verbot“ der EU sei laut Sinn der Höhepunkt einer immer strenger gewordenen EU-Verordnung für den durchschnittlichen Flottenverbrauch. 2015 hätten die erlaubte CO2-Emission eines Verbrennungsmotors einem Dieseläquivalent von 5 Litern je 100 km entsprochen; 2021 wären nur mehr 3,5 Liter erlaubt gewesen; Der Grenzwert für 2030 sei 2018 erst auf 2,2 Liter und mit dem Green Deal auf nur mehr 1,8 Liter Dieseläquivalent festgelegt worden. Ungeachtet technischer Sicherheitsbedenken würden sich die Vorgaben nur mit hinreichend vielen Elektroautos in der Flotte erfüllen lassen. 

Laut EU-Formel würden diese nämlich als Null-Emissionsfahrzeuge gelten, trotz der vielen europäischen Kohlekraftwerke. Im Jahr 2023 habe die EU gar ein „Totalverbot der Verbrenner“ ab 2035 beschlossen, worauf bereits die CO2-Verordnungen hinausliefen. Wie absurd das sei, zeige eine Studie von Joanneum Research im Auftrag von ADAC und ÖAMTC aus dem Jahr 2019, die den CO2-Ausstoß eines Pkw der Golf-Klasse alternativ mit Elektro- oder Verbrennungsmotor verglichen hat. Demnach könne das reine Elektro-Auto seinen leichten Klimavorteil erst spät ausspielen: nach 127.500 km im Vergleich zum Benziner und erst nach 219.000 km im Vergleich zum Diesel, also nach der durchschnittlichen Lebensdauer eines Pkws von 180.000 km. Ein Grund für das schlechte Abschneiden der Elektro-Fahrzeuge sei der hohe Kohleanteil im deutschen Strommix sowie die treibhausgas-intensive Batterieproduktion, die sich als „KlimaRucksack“ in der Bilanz niederschlägt. Eine neuer ADAC-Studie 2022 mit optimistischeren Annahmen über grüne Energie und Umstellung fossiler Stromproduktion auf Gas ließe frühere Vorteile von Elektromotoren erwarten. Doch nach Sinns Ansicht seien diese Annahmen angesichts der Reaktivierung der Kohlekraftwerke und der Abkehr von russischen Gasimporten schon wieder überholt. Für die Autoindustrie folge eine doppelte Dezimierung. So sei der Fahrzeugbau in Deutschland (Stand Oktober 2023) seit 2018 um 21 % gesunken, weil die wohl verbotsaffine ausländische Konkurrenz bei E-Autos besser positioniert gewesen sei. Bei den Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland hätten 2022 zwei Modelle von Tesla vor dem Fiat 500e geführt, erst dann gefolgt von zwei VW-Elektromodellen. Durch die Schwäche der Automobilindustrie sei die Produktion im verarbeitenden Gewerbe seit 2018 in Deutschland um 9 % gesunken (zugleich in Österreich hingegen um 7 % gestiegen). Europa wolle bei der Reduktion des Kohlendioxid Ausstoßes Vorreiter sein, jedoch hätte nur eine Minderheit von 61 der 191 Unterzeichner des Pariser Abkommens, die für ein Drittel der globalen Emissionen verantwortlich sind, eine quantitative Emissionsbeschränkung akzeptiert. China und Indien würden derzeit hunderte Kohlekraftwerke bauen. China emittiere mehr CO2 als alle OECDLänder zusammen. 2020 habe es eine dem Gesamtstand Deutschlands vergleichbare Kohlekraftwerkskapazität geschaffen. Bundeskanzler Scholz habe in Dubai 2023 die Gründung eines Klimaklubs verkündet, der 31 % vom CO2-Ausstoß der Welt abdecke. Der Schritt sei richtig, aber viel mehr Länder müssten folgen.

Ein unilaterales Verbot der Ölverbrennung führe nur zur Verlagerung der CO2-Emissionen aus der EU. Das nicht mehr nachgefragte Öl werde nämlich zu sinkenden Preisen einfach nur in anderen Ländern der Welt verbrannt. Als Beleg führt Sinn den linearen Trend der weltweiten Ölförderung an, der sich trotz riesiger nachfragebedingter Schwankungen der Ölpreise als absolut stabil erweise (Siehe Abbildung 12). Zwar sei der Ölpreis während regionaler Rezessionen gefallen, jedoch fand der Marktausgleich nicht durch eine schrumpfende Ölförderung statt. 

Stattdessen würden andere Länder bei fallenden Preisen jene freigegeben Mengen aufbrauchen. Erst die Corona-Krise ab 2020, als alle Länder wegen der Industrieflaute weniger Öl kauften, hätte zu einer Verringerung der Extraktion fossiler Brennstoffe geführt. Die Krise hätte als natürliches Experiment gezeigt, dass eine weltweit koordinierte Nachfrageeinschränkung die Erdölländer zwingen könne, ihre Förderung zu verringern und damit den Klimawandel zu verlangsamen. Eine solche Begrenzung könne nur durch flächendeckend globalen Emissionshandel bewirkt werden, ohne nennenswerte Outsider-Länder, die opportunistisch aufgrund fallender Ölpreise mehr Öl verbrauchen.

Außerdem, so Sinn, werde für die Erzeugung des zusätzlichen Stroms, den politisch forcierte Elektroautos und Wärmepumpen benötigen, perspektivisch wieder relativ mehr Braunkohle verbrannt. 

Der dadurch entstehende Kohlenstoff gelange zusätzlich in die Luft, denn Braunkohle werde nicht international gehandelt und deshalb auch nicht anderen Ländern entzogen. Paradoxerweise erhöhe so ein Verbrenner-Verbot im Endeffekt sogar den weltweiten CO2-Ausstoß. Daran ändere auch der europäische Emissionshandel nichts. Zwar verdränge zusätzlich verbrauchte deutsche Braunkohle anderswo in der EU Kohle. Darunter sei aber auch international gehandelte Steinkohle, die nun in anderen Weltgegenden vermehrt verbrannt werde. Per saldo steige also trotz des Emissionshandels der weltweite CO2-Ausstoß durch mehr Elektromotoren.

Sinn wandte sich auch gegen die Aussage, dass mit Kohlestrom betriebene Wärmepumpen klimafreundlicher als Gasheizungen seien.8 Abgesehen vom obigen Braunkohle-Argument werde übersehen, dass der Energiegehalt von Gas zur Hälfte aus dem Wasserstoff kommt, der im Gas mit den Kohlenstoffatomen verbunden sei. Bei einem Wirkungsgrad der Wärmepumpe von 3 und des Kohlekraftwerks von 0,4 ergebe sich ein Gesamtwirkungsgrad von 1,2. Eine Gasheizung indes habe aufgrund des Wasserstoffanteils mit einem thermischen Wirkungsgrad von mindestens 1 (oder über 1 bei Brennwertkesseln) einen Wirkungsgrad des Kohlenstoffs von mindestens 2. So gesehen sei es wesentlich klimafreundlicher als eine mit Kohlestrom betriebene Wärmepumpe.

Noch eklatanter sei der Vergleich mit einer gasbetriebenen Wärmepumpe. Bei einem thermischen Wirkungsgrad von 3 (wie bei strombetriebenen Wärmepumpen) errechnet sich ein Gesamtwirkungsgrad des Kohlenstoffs von etwa 6, unerreichbar für Wärmepumpen, die mit Kohlestrom arbeiten.

Auch sei laut Sinn die Aussage irreführend, dass Elektromotoren dreimal so effizient wie Verbrenner seien, weil der Strom wegen des Carnotschen Gesetzes mit einem sehr niedrigen Wirkungsgrad produziert werde. Im Fall von Kohleverstromung sei der Gesamtwirkungsgrad eines Elektromotors das Produkt der beiden Wirkungsgrade des Kohlekraftwerks (0,4) und des Elektromotors (0,8), also etwa 0,32. Ein moderner Dieselmotor schaffe einen deutlich höheren Wirkungsgrad von bis zu 0,45. Zwar stimme es, dass China in einem halben Jahr mehr Solarpaneele errichte, als Deutschland insgesamt habe. Aufgrund seines enormen Energiebedarfs errichte China jedoch auch jährlich mehr Kohlekraftwerke als Deutschland habe.9 Solange die zusätzlichen Solarpanele nicht fossile Brennstoffe ersetzten, gebe es auch keine CO2-Einsparung.

Sinn versicherte kein Klimaskeptiker zu sein. Er halte den CO2-Effekt für die größte Externalität der Menschheit. Er halte aber wenig von der Idee des Kohlenstoffbudgets, also einer fixen Gesamtmenge an Kohlenstoff, die die Atmosphäre noch verkraften könne. Ein festes Budget sei genauso willkürlich, wie das damit zusammenhängende 1,5-Ziel, das ohnehin schon überschritten sei, ohne dass die Welt verpuffe.10 

Es sei richtig, den Kohlenstoff langsamer zu extrahieren, nicht aber, große Teile davon für immer ungenutzt im Boden zu belassen. Jedenfalls sei der Beweis dafür, dass das sinnvoll sei, noch nicht erbracht worden.

Statt der Verbotspolitik der EU und der deutschen Bunderegierung plädierte Sinn für eine Verlangsamung der Extraktion fossiler Brennstoffe, durch eine pretiale Lenkung, also Preise für Kohlenstoff, die sich aufgrund eines Emissionshandels mit schrumpfenden Zertifikatmengen von alleine bilden. Die Lasten für die Wirtschaft seien bei gleicher CO2-Reduktion sehr viel geringer, weil die Emittenten nach kostenminimierenden Tauschmöglichkeiten suchen könnten. Da seien sich alle Wirtschaftsforschenden einig.

Das Hauptproblem bei der Klimapolitik bleibe für Sinn der Unilateralismus, also der Umstand, dass die meisten Emissionsländer gar nicht mitmachten. Die echte Lösung läge deshalb im „Klimaklub“ (Nordhaus, 2015).11 Dessen Mitgliedstaaten müssten ambitionierte Klimaziele mit Hilfe eines weltweiten Emissionshandels ansteuern und dabei Nichtmitglieder durch Handelszölle diskriminieren, damit auch sie dem Klub beitreten. Statt symbolischen Ersatzhandlungen solle die EU mit den anderen Großmächten einen solchen Klimaklub gründen. Gelänge dies nicht, sei es sinnlos, die eigene Industrie zu zerstören, indem man auf handelbare Brennstoffe verzichte und sie den Mitbewerbern zukommen lasse. Einseitige Verbrauchsbeschränkungen bei handelbaren Brennstoffen erhöhten nur den Wohlfühlfaktor derer, die die Marktzusammenhänge nicht verstünden.

Wirksame unilaterale Maßnahmen beschränkten sich laut Sinn (1) auf den Verzicht eigene, nichtgehandelte Braunkohle abzubauen, (2) die CO2-Sequestrierung und den Kauf und Schutz von Wäldern bzw. Aufforstung und (3) den Holzbau, der den durch Photosynthese der Atmosphäre entzogenen Kohlenstoff dauerhaft binde und in den Wäldern Platz für neue Bäume schaffe. Zur billigen Energieversorgung biete sich zudem (4) der Wiedereinstieg in die Kernenergie an. Vielversprechend seien Schmelzsalz-Reaktoren mit Thorium, das auf Uran 233 hochgebrütet wird, ebenso wie neue Ansätze der Kernfusion mit Hilfe von Lasern. Schließlich sei auch eine Wasserstoffwirtschaft mit Solarenergie aus Wüsten sinnvoll.

Fast noch wichtiger als diese technischen Möglichkeiten seien laut Sinn ökonomische Anreizmechanismen, um die Ressourcenländer zu veranlassen, ihre Fördermengen in die Zukunft zu verschieben. Nur diese Länder seien die Herren des Klimas, nicht die Verbraucherländer. Denn alles, was gefördert werde, gehe irgendwo in die Luft. Zu den Anreizmechanismen gehöre erstens die Umstellung der weltweiten Besteuerungsregeln vom Wohnsitzlandprinzip auf das Quellenlandprinzip, um Ressourcenbesitzer anzuspornen, ihr Vermögen auf der Erde zu investieren und ihre Ressourcen lange in der Erde zu belassen.

Zweitens bräuchten Ressourcenländer sichere politische Verhältnisse, um den Anreiz zu beseitigen, fossile Energieressourcen noch schnell vor einem Regimewechsel zu verkaufen.  

Abbildung 12: Entwicklung des Rohölmarkts von 1982 bis 2023 (Folie Sinn) 
Grafik OeNB
 

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