Trauerrede Edwin von Böventer

Im Gedenken an Professor Dr. Edwin von Böventer (1931-1994)

Trauerrede - gehalten bei seiner Beisetzung am 21. Januar 1994 in Ebenhausen

 

Liebe Maria,

als ich am vergangenen Sonntagabend mit Edwin über die Probleme bei der Verabschiedung der neuen Studienordnung sprach, da ahnte ich nicht, dass ich am nächsten Tag mit Dir an seinem Totenbett sitzen würde. Da lag er nun, fahl und kalt, und das Lächeln auf seinen Lippen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, welches Unglück sich ereignet hatte.

Warum nur? Warum er, und warum gerade jetzt? Wie blind das Schicksal doch sein kann!

Der gütige Blick fehlte, die Gesten, die Wärme, und die Stimme. Ja, diese Stimme, die stets spontan, ehrlich und direkt war, die beim Gesprächspartner Sicherheit und Vertrauen erweckte, die bestätigte und nur selten kritisierte, die ruhig war und so gut wie nie in aggressive Schärfe umschlug. Es war die Stimme eines Mannes, der menschliches Maß bewies, den nichts schockierte, der alles schon einmal erlebt hatte und der nun die helfende Hand reichen wollte. Viele haben diese Hand ergriffen, haben sich helfen lassen. Ich selbst gehörte auch dazu. Edwin hat beim Aufbau des Lehrstuhls und des CES geholfen, und er hat durch seinen Mut, seinen Intellekt, seine Diskussionsbereitschaft und seinen Wissensdurst das geistige Klima der Fakultät gerade auch in den letzten Jahren maßgeblich geprägt. Dafür schulde ich Dank.

Hilfe gewährte er nicht nur den Studenten, die ihn aufsuchten, den Kollegen, die ihn brauchten, seinen Freunden, die ihn baten. Jeder, den er zufällig traf, konnte auf seine Unterstützung hoffen, wenn er sie nur wollte. Erst kürzlich hat Edwin bei einem Besuch in den neuen Bundesländern einen Volkswirt getroffen, der das Pech gehabt hatte, statt über die Marktwirtschaft über die Zentralverwaltungswirtschaft ausgebildet worden zu sein. Der Student kam nach München, wurde beherbergt und in eine Banklehre vermittelt.

Edwin von Böventer hatte eine gute Menschenkenntnis und ein grenzenloses Vertrauen in jene, die es verdienten. Man hört, dass er Menschen, die in Not geraten waren, größere Geldbeträge geliehen hatte, und als Sicherheit diente ihm ein Handschlag und ein ehrliches Versprechen. Dieser Grundansatz hat zu einem Teil mit dieser Bodenständigkeit dieses Mannes zu tun, der durch die Kindheit auf dem elterlichen Gutshof geprägt worden war. Auf dem Lande gilt das Wort, und Abmachungen hält man. Der Grundansatz lässt sich aber auch auf amerikanische Erfahrungen zurückführen. Edwin von Böventer hatte an der Universität von Ann Arbor in Michigan Walter Isard, den großen Regionalökonomen, getroffen. Als dieser erfuhr, dass der Besucher keine Wohnung hatte, gab er ihm die Adresse seines Hauses mit der Bemerkung, dort könne er wohnen, denn es sei während der nächsten 14 Tage ohnehin niemand da. Als der Besucher dankend annahm und nach dem Schlüssel fragte, erhielt er zur Antwort, das Haus sei unverschlossen. Er solle nur hineingehen. Auch Edwin von Böventer hat Haus und Herz niemals jemandem verschlossen.

Die Promotionszeit in Amerika war ein Schlüsselerlebnis für sein Leben. Er selbst bezeichnete das Stipendium der Fulbright-Stiftung, das ihm den Aufenthalt ermöglicht hatte, kürzlich als "single most lucky event in my university life". In Amerika traf er neben Isard auch Stolper, Boulding, Galbraith und Musgrave, und ganz sicher wurde sein Wissenschaftsverständnis maßgeblich von diesen Personen geprägt. Bist zu seinem Tode unterhielt er intensive Kontakte zu Musgrave und Stolper, welch letzterer übrigens der Patenonkel des Sohnes Hans geworden war. Die in Michigan geschriebene Dissertation nebst einiger nachfolgender Aufsätze widmete sich den Problemen des Außenhandels zwischen den USA und dem Rest der Welt. Wichtiger als dieses Thema war freilich die Raumwirtschaftslehre, die er bei Isard und Lefeber lernte. Dieses Themengebiet sollte, bei aller Breite des Oevres, eine zentrale Stellung im wissenschaftlichen Werk des Verstorbenen aufweisen und ihm internationalen Ruhm verschaffen.

Nach der Promotion in Michigan nahm Edwin von Böventer eine Assistentenstelle am Lehrstuhl Walter G. Hoffmanns in Münster an und habilitierte sich dort nach einigem Drängen mit einer Arbeit über die "Theorie des räumlichen Gleichgewichts", die dann von Mohr/Siebeck veröffentlicht wurde. Diese Arbeit und der ebenfalls im Jahre 1962 erschienene Aufsatz "Die Struktur der Landschaft" sind wahre Meisterwerke wissenschaftlicher Forschung. Edwin von Böventer verbindet in diesen Werken die Theorien von Thünens, Löschs und Christallers mit den Theorien, die er in Amerika kennengelernt hatte. Im Wesentlichen zeigt er, dass das System der Thünenschen Ringe für den primären Sektor, das Lösch-System unterschiedlich großer Marktnetze für den sekundären Sektor und das Christaller-System der zentralen Orte für den tertiären Sektor Geltung beanspruchen kann. 

Die Leistung Edwin von Böventers fand schon bald in der Fachdisziplin die gebührende Anerkennung. In Gerhard Stavenhagens "Geschichte der Wirtschaftstheorie" sind den Theorien Edwin von Böventers immerhin sechs Seiten gewidmet, und auch in Claude Ponsards "History of Spatial Economic Theory" wird diesen Theorien erhebliche Aufmerksamkeit geschenkt. Durch eine Reihe englischer Publikationen, die sich an die deutschen Arbeiten anschließen, hat es Edwin von Böventer geschafft, sich auch aus internationaler Sicht einen festen Platz in der Theoriegeschichte zu erobern. Er gehört zu den wenigen deutschsprachigen Ökonomen, die in den USA weithin bekannt sind, und sein Ruhm wächst gerade in dieser Zeit, wo die Raumwirtschaftslehre durch die Arbeiten Paul Krugmans eine neue Popularität erlangt hat.

Es ist hier nicht möglich, das wissenschaftliche Werk des Verstorbenen in seiner Breite zu würdigen. Immerhin sind an die hundert Schriften entstanden, von denen ein Teil in renommierten internationalen Zeitschriften erschienen ist. Hervorheben möchte ich aber die Arbeiten zur Umweltökonomie und einen kürzlich verfassten Aufsatz zu den Problemen der russischen Wirtschaftsreform. In diesen Beiträgen zeigt sich exemplarisch das große politische Interesse Edwin von Böventers. Dieses Interesse war in den Unterhaltungen, die ich mit ihm in den vergangenen Jahren hatte, stets präsent. Die intellektuelle Schärfe, mit der er politische Verschleierungsmanöver entlarvte, und das Engagement für die gerechte Sache verdienen hohen Respekt. Hier gab es einen Ökonomen, der über die engen Grenzen seiner Theorien hinausschaute und die wirtschaftspolitische Relevanz nie vergaß.

Das politische Engagement war schon früh angelegt. Als die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der Nato-Beitritt anstanden, gehörte Edwin von Böventer zu den wenigen Wissenschaftlern, die dagegen öffentlich demonstrierten. Und als die Ungarn zusammen mit den Russen im Jahre 1968 in die Tschechoslowakei einmarschierten, veranlasste er die Teilnehmer einer Konferenz in Budapest, förmlichen Protest bei der ungarischen Regierung einzulegen. Natürlich war die eine wie die andere Aktion erfolglos. Erfolgreich war aber der Einsatz für den gespaltenen Benzintarif in der Bundesrepublik, also eine unterschiedliche Besteuerung von verbleitem und unverbleitem Benzin. In Zeitungsartikeln, einer sehr großen Zahl von Briefen und vor allem auch Fernsehinterviews gelang es Edwin von Böventer im Jahre 1983, die politische Öffentlichkeit auf seine Seite zu bringen und zum Schutze der Umwelt einen höheren Steuertarif für verbleites Benzin durchzusetzen.

Edwin von Böventer wollte nicht sterben, er war nicht lebensmüde, sondern steckte voller Energien. Selbst den Gedanken an seine Emeritierung hat er stets weit von sich gewiesen. Zu vieles hatte er sich noch vorgenommen. Die letzte Arbeit aus seiner Feder, an der er gerade schrieb und die noch nicht vollendet war, ist dem von ihm verehrten von Thünen gewidmet. Es heißt dort auf der ersten Seite:

"Johann Heinrich von Thünen war als großer Visionär zwar

  • auch ein Träumer, aber er war gleichzeitig
  • ein realistischer, systematischer und erdverwachsener harter Arbeiter,
  • ein genialer Denker und origineller Theoretiker allerhöchsten Grades,
  • ein politisch interessierter engagierter Ökonom und zudem
  • ein starker Befürworter sozialer Gerechtigkeit."

 

Edwin, es ist nicht von Thünen, den Du hier beschreibst. Du selbst bist es! Du bist Deinem Ideal in Deinem Leben näher gekommen, als andere es zu hoffen wagen.

Liebe Familie von Böventer, verehrte Trauergemeinde. Lassen Sie uns Abschied nehmen von diesem großen Menschen und Wissenschaftler. Wir begraben seinen Körper, aber wir bewahren seinen Geist in unserer Erinnerung. Nehmen wir die Worte, mit denen Edwin von Böventer sein Vorbild charakterisiert, mit auf unseren Weg:

"Arbeiten, Denken, Sehen, Fühlen und Träumen".

Hans-Werner Sinn