Drittens gilt der sogenannte Halbteilungsgrundsatz: Danach darf nicht mehr als die Hälfte der bei wirtschaftlicher Nutzung erzielbaren Erträge durch die Einkommen- und Vermögensteuer konfisziert werden. Und viertens müssen Freibeträge zum Schutz familiär genutzter Wirtschaftsgüter, die der persönlichen Lebensgestaltung dienen, auch „erhöhten“ Standards genügen. Konkret bedeutet das: Der Fiskus darf selbst manche Villa in Top-Lage nicht belasten.
Bereits Punkt eins zeigt, dass die eingangs beschriebene Begründung für eine Vermögensteuer nicht trägt: Die exorbitanten Wertzuwächse bei Immobilien und Aktien, die in den vergangenen Jahren zu beobachten waren, sind nicht auf eine höhere Ertragskraft des Vermögens zurückzuführen. Sie sind bloße Bewertungsblasen aufgrund von Fluchtreaktionen der Anleger infolge der Null- und Negativzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB).
Tatsächlich hat die Ertragskraft des Gesamtvermögens unter der Politik der EZB sogar gelitten. Denn im Kern bestand diese Politik darin, über Billigkredite aus den nationalen Druckerpressen die Anleger und Sparer einem ruinösen Wettbewerb auszusetzen. Aufgrund dieser Konkurrenz können Kapitaleigner auf ihr reines Finanzvermögen heute keine Erträge mehr erzielen und müssen ganz im Gegenteil Jahr für Jahr Verluste verbuchen: Nicht nur Einlagen bei Banken, selbst deutsche Staatspapiere sind bekanntlich mit einem negativen Zins ausgestattet. Nach dem zweiten der oben genannten Grundsätze des Urteils ist deshalb eine Vermögensteuer auf Finanzvermögen bei der heutigen Zinskonstellation unzulässig. Für eine Steuer auf das Gesamtvermögen fehlt jede Veranlassung.
Dubios erscheint die Forderung nach einer Vermögensteuer aber auch, weil wegen der riesigen Konjunkturprogramme, der Versorgungsengpässe infolge des Lockdowns und der ausufernden Geldpolitik eine beträchtliche Inflation im Anmarsch ist. Das ifo Institut sagt bereits für dieses Jahr eine Inflationsrate von etwa drei Prozent voraus.
Die Folgen: Durch Inflation erodiert der Realwert der Geldvermögen, sodass der reale Zins – definiert als Differenz zwischen nominalem Zins und Inflationsrate – sehr stark negativ wird. Dennoch fällt die Kapitalertragsteuer auf die vollen Nominalzinsen an. Sollte es einem Anleger heute tatsächlich noch gelingen, auf Finanzanlagen einen Nominalzins von einem Prozent zu erwirtschaften, so muss er auf sein Vermögen 0,25 Prozent an Steuern zahlen – obwohl er in realer Rechnung bei einer Inflationsrate von drei Prozent einen Zins von minus zwei Prozent erwirtschaftet. Nach Steuern liegt der reale Nettozins bei 0,75 Prozent abzüglich der drei Prozent Inflation, also bei minus 2,25 Prozent.
Ungünstige Rechnung
Noch ungünstiger ist die Rechnung für Steuerzahler, die den Soli bezahlen müssen. Führt die Politik, wie es vielen vorschwebt, eine Vermögensteuer von einem Prozent ein, würde der Nettorealzins in dem betrachteten Beispiel auf den Wert von minus 3,25 Prozent schrumpfen.
Sicher, im Steuerrecht gilt das Euro-gleich-Euro-Prinzip; die Inflation spielt keine Rolle. Doch ist offenkundig, dass die Begrenzung der Steuerlast auf den Ertrag, die Bestimmung der Bemessungsgrundlage in Proportion zum Ertrag und der Halbteilungsgrundsatz allesamt in materieller Hinsicht massiv verletzt würden.
Um es zusammenzufassen: Durch hoheitliche Akte wird den Sparern ihr nominales Zinseinkommen und im Falle von Negativzinsen sogar ein Teil ihres Sparkapitals weggenommen. Es entsteht Inflation, die weitere Substanzverluste erzeugt. Hinzu kommt eine Steuer auf Zinserträge. Und nun soll das seiner Erträge entledigte Finanzvermögen und das dadurch künstlich aufgeblasene Fluchtvermögen (nämlich Aktien und Immobilien) auch noch mit einer Vermögensteuer belastet werden?
Grotesker lässt sich ein Finanzwesen schwerlich gestalten.
Nachzulesen auf www.wiwo.de.