Eine Klimapolitik, die die Angebotsseite der Öl-, Gas- und Kohleproduzenten außer Acht lässt, ist blind und ineffektiv.
Auch die Klimapolitik kennt den Streit zwischen Angebots- und Nachfragepolitik: Die Nachfragepolitiker betonen, dass erneuerbare Energien und Effizienzsteigerungen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen beitragen können. Die Angebotspolitiker sind der Auffassung, dass diese Maßnahmen nicht effektiv seien, weil die dadurch ausgelöste sinkende Nachfrage und tendenziell geringere Preise den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas in jenen Ländern anheizen, die keine Klimapolitik betreiben wollen. Dieser Effekt werde noch dadurch verstärkt, dass aufgrund grüner Politik in der Zukunft die erwartete Nachfragesenkung dazu führt, dass die Besitzer von Kohle, Öl und Gas die Ressourcen noch schneller aus dem Boden holen und damit den Klimawandel verstärken. Die gute, grüne Absicht kann zu steigenden Emissionen führen. Hans-Werner Sinn hat diesen Effekt in seinem vor gut sechs Jahren erschienenen Buch "Das Grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik" erkannt und benannt. Seither wird das Grüne Paradox unter Ressourcenökonomen heftig diskutiert.
Ein Blick auf die Zahlen, die vor wenigen Monaten durch den Weltklimarat vorgelegt wurden, zeigt deutlich die Dramatik, die sich durch die Angebotsseite ergeben. So haben sich die Staaten auf das 2-Grad-Ziel geeinigt, was bedeutet, dass sie nur noch 1000 Gigatonnen Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre ablagern dürften. Diesem begrenzten Deponieraum steht jedoch ein Angebot fossiler Energieträger von circa 16.000 Gigatonnen CO2 gegenüber.
Die Besitzer von Kohle-, Öl- und Gasvorkommen werden sicher nicht alle Ressourcen und Reserven aus dem Boden holen, da die Extraktionskosten steigen, je mehr schon gefördert wurde. Aber sie müssten dennoch 80 Prozent der andernfalls genutzten Kohle, 40 Prozent des Gases und 40 Prozent des Öls im Boden belassen, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll. Nicht das Angebot der fossilen Energieträger ist der begrenzende Produktionsfaktor im 21. Jahrhundert, sondern die Knappheit des Deponieraumes in der Atmosphäre.
Sind die erneuerbaren Energien nicht längst so billig, dass sich Kohle nicht mehr lohnen wird? Es ist richtig, dass die Stromerzeugungskosten mittels Windkraft an guten Standorten schon fast so niedrig sind wie die Stromgestehungskosten von Kohle. Rechnet man jedoch die Kosten der Schwankungen des Windes mit ein, ist der Windstrom immer noch teurer als der Kohlestrom, zumindest bei größeren Anteilen Windstrom im Netz. Für Solarenergie gilt ähnliches. In China, Indien, den Vereinigten Staaten, aber auch in Europa wird die Kohle wieder verstärkt im Stromsektor genutzt. Angesichts der enormen Kohlevorräte kann dieser Trend noch lange anhalten.
Er kann nur gebrochen werden, wenn CO2 einen Preis bekommt, der die Knappheit des Deponieraumes der Atmosphäre zum Ausdruck bringt. Hans-Werner Sinn, der mit seinem Grünen Paradox die Angebotsseite ins politische und wissenschaftliche Bewusstsein gerückt hat, traut aber einer CO2-Steuer nicht über den Weg. Denn die Steuer müsste langsamer wachsen als der Zinssatz, damit es keinen Anreiz auf die Öl- und Gasanbieter zur beschleunigten Extraktion gibt, weil sie künftig eine höhere Steuer fürchten. Sinn glaubt nicht, dass sich die Politik langfristig glaubhaft auf einen solchen Steuerpfad festlegen kann. Darum setzt sich Sinn für einen weltweiten CO2-Emissionshandel als Instrument der globalen Klimapolitik ein. Man kann darüber streiten, ob die Steuer oder der Emissionshandel angesichts des Grünen Paradoxes das bessere Instrument ist. Beide Instrumente lassen sich meines Erachtens so ausgestalten, dass für die Ressourcenbesitzer kein Anreiz besteht, die Extraktion zu beschleunigen.
Die Mehrheit der Beobachter glaubt jedoch nicht, dass in Paris im Dezember 2015 eine Einigung über eine globale CO2-Bepreisung möglich sein wird. Hier kommt die Technologiepolitik als eine attraktive Option ins Gespräch. Wenn - so das Argument - die erneuerbaren Energien so billig werden, dass niemand mehr Kohle, Öl oder Gas aus dem Boden holen will, dann könne man sich doch die internationalen Verhandlungen ersparen. Nicht Diplomaten lösen das Problem, sondern Ingenieure. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass in den nächsten Dekaden die erneuerbaren Energien selbst durch Technologiepolitik billiger werden als die Extraktionskosten der fossilen Energieträger. Wer sich allein auf die großen technischen Durchbrüche verlassen will, geht daher das Risiko ein, dass die Emissionen weiter steigen. Technologiepolitik kann die CO2-Bepreisung also nicht ersetzen.
Technologiepolitik kann jedoch dann helfen, die Kosten der Klimapolitik zu senken, wenn es eine CO2-Steuer oder einen funktionierenden Emissionshandel gibt. Sie lässt sich dann rechtfertigen, wenn der Markt bei Forschung und Entwicklung versagt und private Investoren hier zu wenig investieren. Auch können bei der Einführung neuer emissionsarmer Technologien Erfahrungen gesammelt werden, die den anderen Firmen kostenlos zur Verfügung stehen. Ist dies der Fall, können Subventionen bei der Markteinführung neuer Technologien durchaus sinnvoll sein.
Das Grüne Paradox hat viel Beifall von Leuten bekommen, die die politischen Bemühungen um einen effektiven Klimaschutz diskreditieren wollten, weil sie die politische Aussichtslosigkeit des Unterfangens in den Vordergrund stellten. In der Tat zeigt das Grüne Paradox, dass es einer internationalen Kooperation beim Klimaschutz bedarf. Hans-Werner Sinn hat jedoch immer betont, dass er im Klimaproblem eine der großen Herausforderungen der Menschheit sieht, die dringend einer Lösung bedarf. Seine Kritik mag im Detail manchmal überzogen gewesen sein. Es bleibt aber dabei: Das Grüne Paradox ist kein Irrtum, sondern ein Leitfaden für eine illusionslose und zugleich effektive Klimapolitik.