Wenn der Staat nicht mehr liefert...

Dietrich W. Thielenhaus, Markt intern - Der Mittelstandsblog, 9. Januar 2023.

Zunehmende Verunsicherungen beeinträchtigen das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen. Die Zahl der Menschen, die sich nicht mehr hinreichend vom Staat vertreten und geschützt fühlen, steigt. Die Entfremdungsprozesse verlaufen zunächst unbemerkt und schleichend, bis sie dann – etwa durch schockierende Ereignisse wie die kürzliche Silvester-Randale – bei den Normalbürgern in Frust und Verweigerung umschlagen. Aber auch in ganz alltäglichen Bereichen verstärkt sich der Eindruck, dass der Staat seine originären Aufgaben nicht mehr konsequent genug wahrnimmt. Das gilt für die öffentliche Infrastruktur ebenso wie für die Versorgungs-, Ausbildungs-, Sicherheits-, Gesundheits-, Verkehrs- und Kommunikationssysteme. Und das gilt auch für die strukturpolitischen Eingriffe des Staates in ökonomische Schlüsselbereiche wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Konjunktur, die Geldwertstabilität, die Energieversorgung und die Klimapolitik, deren Auswirkungen sich allzu oft als kontraproduktiv erweisen.

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Der Weg aus der Stagflation

In seiner „Weihnachtsvorlesung 2022“ hat Prof. Hans-Werner Sinn die Stagflation und die Energiekrise als derzeit größte Herausforderungen für Deutschland aufgezeigt und konkrete Lösungswege gewiesen. Die Veranstaltung stand unter dem griffigen Motto „Schwarze Schwäne – Krieg, Inflation und ein energiepolitischer Scherbenhaufen“. Die Geldentwertung sei kein rein europäisches Phänomen, sondern habe tiefere Ursachen. Die weltweiten Lieferketten seien durch Pandemie und Quarantäne blockiert worden, was zum Fehlen der Vorprodukte und zum Sinken der Angebote geführt habe. Gleichzeitig habe die Geldmenge, die sich infolge der „Staatsfinanzierung aus der Druckerpresse“ von 2008 bis 2022 versiebenfacht hat, das Problem verstärkt. So sei die Nachfrage nach Konsumgütern bei knappem Angebot wie nie zuvor in der Geschichte gewachsen. Inflation sei die unvermeidliche Folge. Nun werde durch hohe Lohnsteigerungen eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt. Weil durch den demografischen Wandel vielerorts Arbeitskräfte fehlen und das Bürgergeld den Arbeitsanreiz weiter senke, drohe sich das Angebot weiter zu verknappen. Nimmt der Staat dann noch durch Sondervermögen Milliardenschulden auf, um Menschen zu unterstützen, befeuere er die Nachfrage mit frisch gedrucktem Geld weiter. Sinn prognostiziert: „Das alles spricht für ein fortgesetztes stagflationäres Szenario in diesem Jahrzehnt.“ Um die Lage in den Griff zu bekommen, plädiert der frühere ifo-Präsident für eine grundlegende Reform des Euro-Systems. Die EZB müsse die Staaten durch steigende Zinsen zur Ausgabenkontrolle zwingen. Andernfalls würden sich die Schuldenexzesse der Länder fortsetzen. Damit die Preisstabilität wieder oberstes Euro-Ziel werde, sollten die Stimmrechte im EZB-Rat nach Landesgröße vergeben werden. Intern müsse Deutschland das Grundgesetz nachschärfen, um den Regeln widersprechendes Verhalten – wie z. B. als Sondervermögen getarnte Milliardenschulden – auszuschließen. Würde hierzulande volkswirtschaftlicher Sachverstand die Politik bestimmen, wäre die Umsetzung von Sinns Konzept tatsächlich „alternativlos“.

„Kranker Mann Europas“?

Im zweiten Teil seiner „Weihnachtsvorlesung 2022“ befasste sich Prof. Sinn mit den Ursachen und Folgen der Energiekrise. Der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass „grüne Flatterenergie“ andere Kraftwerke brauche, um Dunkelflauten zu überstehen. Wegen des Doppelausstiegs aus Kohle- und Atomstrom bleibe Gas die einzige Option Deutschlands. Der auch international renommierte Wissenschaftler weiter: „Damit ist die grüne Energiewende ein Scherbenhaufen. Das funktioniert überhaupt nicht.“ Energiehilfen könnten das Problem nur kurzfristig kaschieren. Langfristig fehle jedoch eine Lösung, zumal sich der Stromverbrauch vervier- oder verfünffachen dürfte, wenn die chemische Industrie auf Gas verzichten solle und die Menschen hierzulande ihre Autos elektrisch fahren sowie ihre Häuser elektrisch heizen wollten. Damit Deutschland kurzfristig überlebe, seien neue Gas-Pipelines nach Norwegen, Großbritannien, Algerien und Israel, wesentlich mehr Gasspeicher, Flüssiggas aus Übersee, Fracking in Deutschland und die sofortige Aufhebung der Kohle- und Atomverbote erforderlich. Neue Technologien wie die Kernfusion seien frühestens in einem Jahrzehnt verfügbar. Bis dahin müsse Deutschland überleben und daher pragmatische Entscheidungen treffen. Gefordert sei Verantwortungs-Ethik statt Gesinnungs-Ethik, also „kluge, abwägend rationale Politik, ohne dabei alles kaputt zu machen und Träumen hinterherzurennen“. Als Negativbeispiel für eine falsche Politik, die der Bundesrepublik schade, ohne den Klimawandel zu bekämpfen, nannte Sinn das Aus für Verbrennungsmotoren. Das zerstöre die Wettbewerbsvorteile deutscher Autobauer, die wegen ihrer umfangreichen Metallindustrie Verbrenner besser bauen könnten als andere Hersteller. Bei E-Autos „mit vielen Spielereien“ hätten Chinesen und Amerikaner die Nase vorn. Infolge dieses selbst verschuldeten Problems für die wichtigste deutsche Industriebranche zeige das verarbeitende Gewerbe bereits zunehmende Schwächen. Vor diesem Hintergrund stellte der Volkswirt die rhetorische Frage: „Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?“ Zum globalen Klimawandel merkte Sinn an, dass die derzeitigen Klimakonferenzen zu Schadensersatz-Runden verkämen, statt das eigentliche Problem zu lösen. Erfolgsversprechender sei die Einbindung der großen Länder in einen globalen Klimaclub. Der in seiner gesamtheitlichen Ausrichtung außerordentlich kompetente und überzeugende Vortrag steht online zur Verfügung unter www.ifo.de/mediathek/2022-12-12/schwarze-schwaene-krieg-inflation-und-ein-energiepolitischer-scherbenhaufen-0. Am Ende seiner Ausführungen hat Prof. Sinn übrigens eher beiläufig wissen lassen, dass seine „Weihnachtsvorlesung 2022“ die letzte dieser Veranstaltungsreihe gewesen sei. Und er hat Prof. Clemens Fuest, seinen Nachfolger als ifo-Präsident, coram publico aufgefordert, diese für viele Zeitgenossen zur Kult-Vorlesung gewordene Tradition fortzusetzen.

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