Wer soll die deutsche Energiepolitik eigentlich bezahlen?

Carsten Korfmacher, Nordkurier online, 26. September 2023.

Die Energiepolitik kommt in Form von steigenden Preisen bei den Bürgern an – ohne Aussicht auf Besserung. Die Energie-Debatte ist zu einer ideologischen Märchenstunde verkommen.

Die Bundesrepublik steht in den kommenden Jahren vor immensen Herausforderungen. Um diese zu meistern, braucht das Land eine starke Wirtschaft, die wiederum auf eine stabile und preiswerte Energieversorgung angewiesen ist. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Wohl und Wehe der Bundesrepublik hängt an der Energiepolitik. Scheitert die deutsche Strategie, scheitert das Land als Industrienation und damit als Wohlfahrtsstaat. Das ist das große Damoklesschwert, das spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges über der Bundesrepublik hängt.

Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt

Dieses wirtschaftliche Problem paart sich in Deutschland mit einem gesellschaftlichen: Denn den Bürgern dämmert langsam, mit wie vielen Einschnitten die Energiewende einhergeht. Die Preise für Sprit und Strom explodieren, Langstreckenflüge sind nur noch für Gutverdiener bezahlbar und Eigentümern wird per Gesetz vorgeschrieben, welche Art von Heizung sie einbauen dürfen. All dies führt dazu, dass der Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt. Setzt sich diese Entwicklung fort, kann das in einer liberalen Demokratie nur eines bedeuten: Politikwechsel oder Abwahl.

Dieser Serienteil beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Folgen der deutschen Energiepolitik für Bürger und Unternehmen. Im nächsten Teil geht es dann um die ökologische und geopolitische Dimension dieser Politik. Denn die Energiepolitik ist ein Spannungsfeld, in dem neben den wirtschaftlichen Aspekten auch der Klimaschutz, die Geopolitik, der technologische Fortschritt und die gesellschaftlichen Realitäten in einer liberalen Demokratie eine Rolle spielen. Schließlich ist die klügste Strategie der Welt nichts wert, wenn die notwendigen Rohstoffe nicht bereitstehen, der CO2-Austoß massiv zunimmt oder sich die Bevölkerung gegen die Politik auflehnt. Diese Gefahren bestehen. Denn die Energiedebatte dreht sich nicht mehr um Realität und Rationalität, sondern um ideologisch aufgeladene Märchen.

Das Märchen von den günstigen Energiepreisen

Das erste Märchen, das sich in der Bundesrepublik gerne erzählt wird, ist jenes der günstigen Energiepreise. Wind und Sonne schicken keine Rechnung, heißt es oft. Die Schwierigkeit sei nur, die Zwischenzeit gut zu überbrücken. Tatsächlich basiert die komplette deutsche Energiepolitik auf der Illusion, dass es ausreicht, die Kapazitäten für Energie aus Wind und Sonne zu erhöhen, um zukünftig eine günstige Energieversorgung zu haben. Doch die erneuerbaren Energien können „nicht ihre eigene Brückentechnologie sein, eine bloße Beschleunigung ist daher keine Lösung“, urteilt Stefan Kooths, Konjunkturchef am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Es ist unbestritten, dass der Erneuerbaren-Ausbau absolut notwendig ist, zumal nach Plänen der Bundesregierung bis 2030 mehr als 80 Prozent des Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll. Zuletzt war es rund die Hälfte.

Doch dabei werden drei fundamentale Probleme ausgeblendet: Erstens wird der Ausbau der notwendigen Infrastruktur extrem schwierig und teuer, da es nicht nur an Material und Fachkräften mangelt, sondern die ausufernde Bürokratie auch Planungs- und Genehmigungsverfahren blockiert. Es ist richtig, dass die Grenzkosten für erneuerbare Energien gegen null tendieren. Das sind die Kosten, die pro zusätzlicher Kilowattstunde Energie anfallen, wenn die Infrastruktur einmal steht. Doch die Infrastruktur steht nicht. Und jeder, der am Aufbau und Erhalt dieser Infrastruktur beteiligt ist, vom Windradbauer bis zum Netzbetreiber, schickt sehr wohl eine Rechnung.

Zweitens ist Energie aus Wind und Sonne nicht grundlastfähig. Bedeutet: Erneuerbare Energien sind Schwankungen unterlegen und stehen damit nicht auf Knopfdruck zur Verfügung. Zum Beispiel erzeugen Fotovoltaikanlagen laut den Globalstrahlungsdaten des Deutschen Wetterdienstes im Dezember und Januar nur ein Zehntel der Energie der Sommermonate und in winterlichen Hochdrucklagen können sogenannte „Dunkelflauten“ entstehen, in denen kein Wind weht und die Sonneneinstrahlung durch eine Hochnebelschicht blockiert wird.

Daraus folgt, dass neben der notwendigen Erneuerbaren-Infrastruktur immer auch eine konventionelle, grundlastfähige Infrastruktur vorgehalten werden muss. Und auch die kostet Geld. Und drittens führt die Dekarbonisierung zu einem massiv steigenden Stromverbrauch, schließlich muss der Strom für die Elektrifizierung von Autos, Zügen, Heizungen oder industriellen Maschinen irgendwo herkommen. Das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass der Stromverbrauch in Deutschland selbst bei steigender Energieeffizienz bis 2030 um rund 25 Prozent steigen wird.

Strompreis bleibt über Jahrzehnte hoch

Vor allem die Tatsache, dass erneuerbare Energien nicht grundlastfähig sind, wird zu stiefmütterlich behandelt, obwohl sie das Kernproblem der deutschen Energiepolitik ausmacht. Die Bundesrepublik braucht eine sowohl klimaneutrale als auch grundlastfähige Backup-Versorgung. Und die wird teuer, sehr teuer, ganz egal, für welchen Weg man sich entscheidet. Ob man Strom importiert, Batterien oder Akkus als Langzeitspeicherlösungen entwickelt oder auf chemische Speicher in Form von Wasserstoff setzt ‐ die Kosten werden immens, was zu weiter steigenden Strompreisen führt. Sicherlich wird es irgendwann günstig darstellbare Speicherformen für die Erneuerbaren geben, doch kaum ein Experte geht davon aus, dass dies bereits im Jahr 2030 der Fall sein wird.

Die große Irrationalität der deutschen Energiepolitik, an der sich nicht nur die Bürger, sondern auch die strategischen Partner vor allem in Europa reiben, lautet: Warum schaltet die Bundesrepublik von der Kernenergie bis zur Kohle alles ab, bevor sich eine sichere und günstige Energieversorgung aus den Erneuerbaren bewährt hat? „Nach der heute abschätzbaren Technikentwicklung wird es lange, eventuell Jahrzehnte, dauern, bis derartige Energiesysteme voll funktionsfähig sind“, schätzen die Ifo-Ökonomen Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn. Sie fordern daher nicht nur den Bau von Gaskraftwerken und den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. Auch Fracking und die Fusionsforschung sollten in Betracht gezogen werden.

Mittlerweile musste selbst das grüne Bundeswirtschaftsministerium eingestehen, dass in den kommenden 20 Jahren nicht mit sinkenden Strompreisen zu rechnen ist. Laut der jüngsten Prognose aus dem Hause von Minister Robert Habeck soll der Strompreis bis 2042 zwischen 37 und 42 Cent pro Kilowattstunde pendeln, derzeit können Stromkunden Neuverträge für um die 30 Cent je Kilowattstunde abschließen. Zum Vergleich: Nach Ministeriumsprognose soll der Gaspreis zwischen 12 und 16,5 Cent pro Kilowattstunde liegen ‐ trotz steigendem CO2-Preis.

Das Märchen vom grünen Wirtschaftswunder

Das zweite große Märchen der deutschen Energiepolitik ist der Glaube, dass durch die Energiewende ein neues Wirtschaftswunder entsteht. Derzeit ist die wirtschaftliche Lage schwierig. Es ist menschlich nachvollziehbar, dass der Politik daran gelegen ist, Optimismus zu verbreiten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bemüht daher wiederholt eine wohlklingende Metapher: Aufgrund hoher Investitionen in den Klimaschutz sei mit „Wachstumsraten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 50er- und 60er-Jahren“ zu rechnen.

Leider basiert diese Aussage auf einem Denkfehler: In der Tat führen grüne Investitionen, Forschung und Entwicklung zu einem Wachstum in diesen Bereichen. Doch dieses wird begleitet von einer Schrumpfung in fossilen Technologien. Genau das ist der Kern der Energiewende: In diesem Transformationsprozess wird der Kapitalstock, also der Bestand an Sachkapital, wie Maschinen, Fabrikgebäuden oder technischen Anlagen, nicht erweitert, sondern lediglich ausgetauscht. „Die Umformung des Kapitalstocks führt nicht zu einem Boom, ganz im Gegenteil“, sagte Robin Jessen, Experte für Wachstum, Konjunktur und Öffentliche Finanzen am Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) dem Nordkurier. „Es wäre schön, wenn notwendige politische Maßnahmen nur Gewinner erzeugen würden. Aber in der Realität hat man es mit Zielkonflikten zu tun.“ Für Politiker sei es sehr unangenehm, diese Zielkonflikte klar zu benennen. Im Fall der deutschen Energiepolitik müsse man sich entscheiden: zwischen zusätzlichem Wohlstand und der Reduzierung des CO2-Ausstoßes.

Mit anderen Worten: Während das „Wirtschaftswunder“ in den 50er- und 60er-Jahren kein Wunder war, sondern aus Nachholeffekten in einem kriegsgeschundenen Land resultierte, wäre ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum ausgelöst durch die Klimawende tatsächlich genau das ‐ ein Wunder.

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