Finanz und Wirtschaft (ref. Project Syndicate, 25. November 2022), 2. Dezember 2022, und als "Will Germany’s energy policy lead to economic failure?", The Guardian, 25. November 2022 und "Is Germany sick again?", The Jordan Times, 28. November 2022.
Man kann über den russischen Präsidenten sagen, was man will. Mit seinem Krieg hat er den Europäern die Augen geöffnet. Das betrifft nicht nur die Erkenntnis, wie gefährlich es ist, die militärische Sicherheit zu vernachlässigen, sondern auch ihre grünen Träume von einer neuen, besseren Energiewelt, die allein auf der Basis einer von Wind und Sonne angetriebenen Stromwirtschaft funktioniert. Seit eine unbekannte militärische Macht Europas wichtigste Gasleitung durch die Nordsee zerstört hat, wissen die Europäer, allen voran die Deutschen, wie sehr sie auf diese billige Energiequelle angewiesen ist.
Noch vor kurzem träumte manch einer von der Idee, Russland unter Druck setzen zu können, indem man kein Gas mehr von ihm bezieht. Heute merken die Länder Europas die Last der fehlenden Energieimporte aus Russland und streiten sich über die zu knappen Restmengen, die noch verbleiben.
Die Vertreter der Embargo-Forderungen argumentierten, der Verzicht auf russisches Gas sei für eine Volkswirtschaft unbedeutend und könne leicht kompensiert werden, denn der Effekt auf das BIP sei nur gering. Auch kürzlich wieder blies eine neue Studie in das gleiche Horn. Nur etwa 300 Produkte könne die deutsche Wirtschaft nicht mehr herstellen, wenn das Gas fehle. Die könne es sich bei geringen wirtschaftlichen Konsequenzen leicht auf den internationalen Märkten beschaffen (https://www.iwh-halle.de/publikationen/detail/wirtschaftliche-folgen-de…).
Tatsächlich aber haben die Wohlfahrtseinbußen aufgrund einer Gasabschaltung mit dem BIP wenig zu tun, denn sie treten bei den Käufern des Gases und der gasintensiv produzierten Güter vor allem in Form von Preissteigerungen bei den Importen ein. Das BIP ist das Bruttoeinkommen, das bei der inländischen Produktion von Gütern entsteht, doch die Wohlfahrtseinbußen entstehen durch die Verteuerung der Importgüter, die aus diesem Einkommen erworben werden (Terms of Trade – Effekt). Diese Verteuerung wird bei der Berechnung des realen BIP nicht erfasst.
Daraus folgt nicht, dass es keine BIP-Effekte gibt. Die kommen erschwerend hinzu. So geht es z.B. in der Chemieindustrie um die Methanol-Herstellung und Ammoniak-Herstellung, die die Basis der Düngemittelproduktion ist. Ob die nachgelagerten und komplementären Wertschöpfungsbereiche noch wettbewerbsfähig sind, wenn man die Grundstoffe in Europa nicht mehr herstellt, sondern in Amerika kaufen muss, ist zu bezweifeln. Es könnten sehr viele Arbeitsplätze betroffen sein, bis ein neues Gleichgewicht gefunden ist. Kein Wunder, dass die BASF, die größte europäische Chemiefirma, beschlossen hat, 5 Milliarden Euro in den Aufbau einer Chemiefabrik in China zu investieren.
Eine weitere Erkenntnis aus dem Krieg, die erst allmählich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt, ist die, dass die grüne Ersatzenergie aus Wind und Sonne, die heute zur Kompensation für die fossilen Brennstoffe propagiert wird, ohne diese Brennstoffe gar nicht verwertbar ist. Sie ist nämlich wetterabhängig, extrem volatil und kaum regelbar. Damit der grüne Flatterstrom überhaupt nutzbar ist, muss er mit einer regelbaren Energie kombiniert werden, die im Gegenrhythmus variiert, um die Nachfrage zu jedem Zeitpunkt zu befriedigen. Im Extremfall der Dunkelflaute, wenn weder der Wind weht noch die Sonne scheint, muss die regelbare Energie die gesamte Nachfrage allein bedienen. Und wenn eines Tages drei bis fünfmal so viel Strom benötigt wird wie heute, weil der Verkehr elektrisch ist und die Häuser mit Wärmepumpen geheizt werden, dann wird auch eine drei- bis fünfmal so hohe Kapazität der Anlagen für die Produktion einer regelbaren Energie benötigt.
Vorläufig besteht die regelbare Energie in den Industrieländern nur aus der Kernkraft, der Kohle und dem Gas. Für Deutschlands Energiewende weg von Kohle und Kernkraft bedeutet dies, dass das Land fast allein am Gas hängen würde, wenn es bei dem beschlossenen Fahrplan bliebe. Es kann dabei aber nicht bleiben, denn gerade das Gas fehlt ja nun. Der Krieg ist ein natürliches Experiment der Geschichte, das die Defizite der grünen Energiewende schonungslos bloßgelegt.
Nun ist guter Rat teuer. Viele hoffen auf die Batterien der E-Autos als Puffer zur Glättung des grünen Flatterstroms. Wenn die Verbrenner verboten und großtenteils durch E-Autos ersetzt sind, werden diese Batterien werden eines Tages in der Tat einen Beitrag leisten können, die ganz kurzfristigen Schwankungen zu glätten, die innerhalb eines Tages stattfinden. Das Hauptproblem sind aber die saisonalen Schwankungen des grünen Strom. Vor allem müssen die schwierigen Wintermonate bis zum März mit Strom überbrückt werden, der aus den Herbststürmen gewonnen wird. Dafür kommen Autobatterien nicht in Frage, weil die Autos ja gefahren werden müssen. Diese Batterien reichen nicht einmal aus, die Energie die die E-Autos selbst im Winter brauchen, im Herbst zu speichern und bis zum Verbrauch aufzubewahren.
In einer entfernten Zukunft wird es nur die Möglichkeit, den wetterabhängigen Strom durch Kraftwerke zu glätten, die mit Wasserstoff betrieben werden, denn der Wasserstoff ist die bessere Batterie. Doch muss der Wasserstoff selbst aus einem bereits geglätteten Strom gewonnen werden, damit er sich wenigsten halbwegs wirtschaftlich erzeugen lässt. Er setzt also voraus, was er selbst erst noch schaffen soll. Wie dieses Dilemma wirtschaftlich gelöst werden kann, steht vorläufig noch in den Sternen. Insofern bleibt Ländern wie Deutschland, die sich auf dem grünen Energiekurs befinden, kaum etwas anderes übrig, als zur Pufferung des grünen Stroms das extrem teure Flüssiggas zu kaufen, selbst nach neuen Gasquellen zu bohren und sich auf die Kernenergie, auch jene seiner Nachbarn in Frankreich und Tschechien zurückzubesinnen. Der Lernprozess wird aber schmerzlich verlaufen. Deutschland ist auch wegen seiner überaus ambitionierten Energiepolitik erneut, wie schon vor zwanzig Jahren, der kranke Mann Europas.
Nachzulesen auf www.project-syndicate.org, www.fuw.ch, www.theguardian.com, www.jordantimes.com.