Der frühere Leiter des ifo-Institutes äußert Kritik an der Energie- und Wärmewende der Regierung. Den geplanten Rückbau der Gasnetze sieht er als langfristigen Fehler.
Nach einem turbulenten politischen und ökonomischen Jahr 2024, in dem die Ampel-Koalition an ihrer fehlenden Kompromissbereitschaft bei Themen wie der Schuldenbremse gescheitert war und der Wirtschaftsstandort Deutschland seine stagnierende Konjunktur erfolglos in Gang zu bringen versuchte, stehen die Zeichen zum Jahresbeginn vielerorts auf Neuordnung. Denn bis zur Bundestagswahl 2025 am 23. Februar sind es nur noch rund sieben Wochen.
Im verkürzten Wahlkampf wurde so bislang etwa wichtig, wie sich demografische Hürden und Probleme vieler Industriesektoren lösen lassen. Zuletzt jedoch wurde das vom Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne), initiierte Heizungsgesetz wieder in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gerückt – und zwar von CDU und CSU und insbesondere vom Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU). Nun blickt auch der ehemalige Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, auf den Wahlkampf und resümiert, wie es speziell um die Energiewende und das viel diskutierte Heizungsgesetz steht.
Probleme des Wirtschaftsstandort Deutschlands haben „vielen die Augen geöffnet“
Ende Januar des Vorjahres (22. Januar 2024), nur Wochen nachdem die geplante Umverteilung von Mitteln des Corona-Hilfsfonds in den Klima- und Transformationsfonds (KFT) vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden war, bemängelte der vormalige Präsident des ifo-Insituts in einem Welt-Interview noch die öffentliche Diskussion um die Energiewende. Ihm zufolge sei sie schon damals nicht in der Lage gewesen, bei der Energiewende auf die Ebene wirtschaftlicher Lösungen vorzudringen. „Klimawissenschaft und Moral waren alles, was vorkam. Das reicht leider nicht, um acht Milliarden Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen“, hatte Sinn zu jenem Zeitpunkt erklärt.
Nun, fast genau ein Jahr später, widmet sich der ehemalige Vorsitzende des ifo-Insituts dem Thema erneut. 2024 sei es in der Frage, welche wirtschaftlichen Lösungen für die Finanzierung der Energiewende geschaffen werden können, zumindest etwas vorangegangen. „Weil der allseits sichtbare Niedergang der Industrie, insbesondere der Automobil- und Chemieindustrie vielen die Augen geöffnet hat“, resümiert Sinn gegenüber der Welt nun. Versprechen eines neuen Wirtschaftswachstums aufgrund des Verbots fossiler Brennstoffe hätten sich Sinn zufolge im vergangenen Jahr ganz einfach als falsche Hoffnungen erwiesen.
Der Gasnetz-Rückbau ist für Hans-Werner Sinn ein „Akt mutwilliger Zerstörung“
Wie aber blickt der ehemalige Vorsitzende des ifo-Insitutes auf die aktuell im Wahlkampf wieder zentrale Debatte um Wärmewende und Heizungsgesetz? Sie war erst Anfang Dezember von CDU/CSU-Kanzlerkandidat Merz befeuert worden, indem er geplante Gesetzesänderungen oder gar eine Rücknahme der Regelung im Falle eines Siegs der Union bei der Bundestagswahl am 23. Februar in Aussicht stellte. „Das Heizungsgesetz ist ein krankhafter Auswuchs einer zentralplanerischen Denkweise“, betont Sinn. Diese stehe „im krassen Gegensatz zu der liberalen Ordnung“, die für Deutschlands Wirtschaftswachstum in der Nachkriegszeit gesorgt habe. Deshalb sei er dankbar für politische Bestrebungen, das Gesetz abzuschaffen.
Als Instrumente der Energiewende kritisiert der ehemalige Präsident des ifo-institutes insbesondere die langfristig geplante Stilllegung der Gasnetze, die in zahlreichen Städten hierzulande bereits akribisch vorbereitet wird. Anfang November hatte etwa der Mannheimer Energieversorger MVV für Aufsehen gesorgt, indem er die Stilllegung dortiger Gasnetze ab 2035 ankündigte, wie der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) berichtete. In Thüringen werden Erdgasbohrungen derweil deutlich zurückgefahren, wie das Förderunternehmen Neptune Energy mitteilte. Gleichzeitig wird sich auch im Freistaat vielerorts auf die Stilllegung von Gasnetzen vorbereitet.
Auch den geplanten Rückbau der Gasnetze im Zuge der Energiewende greift der vormalige Präsident des ifo-Instituts scharf an, indem er ihn gegenüber der Welt als „Akt mutwilliger Zerstörung“ bezeichnet. „Abgerissen werden soll eine Infrastruktur, die unter großen Entbehrungen und riesigem Aufwand von früheren Generationen errichtet wurde“, betont er. Das bedeute perspektivisch nicht nur, Vermögenswerte „im Umfang von Hunderten Milliarden Euro“ zu vernichten, sondern sei auch umweltökonomisch fragwürdig.
„Erdgas ist eine sehr gute Brückentechnologie auf dem Weg zur Dekarbonisierung“
Grund sei, dass die Energiegewinnung aus Erdgas nur zur Hälfte auf der Verbrennung von Kohlenstoff basiert, zu gleichen Teilen aber auf der von Wasserstoff, bei der kein CO₂ freigesetzt wird. Daraus folgert Sinn: „Erdgas ist eine sehr gute Brückentechnologie auf dem Weg zur Dekarbonisierung.“ Statt des Gasnetzrückbaus wünscht sich Sinn, dass gasbetriebene Wärmepumpen flächendeckender empfohlen werden, da sich der Gasverbrauch auch so weiter reduzieren lasse.
Aber auch aus einem anderen Grund hält Sinn es für „unerlässlich“, Gaskraftwerke weiter am Laufen zu halten. Und zwar, weil sie „wetterbedingte Schwankungen bis hin zu Dunkelflauten ausgleichen.“ Damit bezieht sich der ehemalige ifo-Vorsitzende auf ein in den Herbst- und Wintermonaten präsentes Problem der Wärmeversorgung, das auch aktuell wieder problematisch werden könnte. Nachdem sich bereits Anfang Dezember eine Dunkelflaute ereignet hatte, sorgten ausbleibender Wind und fehlende Sonne auch seit den Weihnachtsfeiertagen regional wieder dafür, dass Photovoltaik-Anlagen und Windkraftwerke nur wenig grünen Strom erzeugen können. Als Reaktion darauf nahm etwa die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) alle seine verfügbaren Kohlekraftwerke in Betrieb, wie die Lausitzer Rundschau berichtete. (fh)
Nachzulesen auf www.tz.de und auf www.merkur.de.