Handelsblatt, 9. Februar 2021.
Politiker wollen Wahlen gewinnen. Gern verteilen sie Geschenke, ungern vergraulen sie ihre Wähler mit Steuern. Am liebsten überlassen sie auf dem Weg der Staatsverschuldung denjenigen die Zeche, die noch gar nicht wählen können, weil sie zu jung oder noch gar nicht geboren sind.
Doch im Jahr 2009 geschah das Wunder. Der Bundestag rang sich dazu durch, die Ausbeutung zukünftiger Generationen durch eine strikte Schuldengrenze im Grundgesetz zu begrenzen. Das war dringend notwendig, denn die Babyboomer, die heute schon 57 Jahre alt sind, werden in spätestens zehn Jahren eine Rente von Kindern verlangen, die diese nicht haben. Die wenigen Kinder, die dann im Arbeitsleben stehen, können neben den Renten nicht auch noch die Schulden bezahlen.
So weit wollen die sinnlich gewordenen Kassenwarte der Republik aber nicht mehr denken. Es ist ihnen ein Graus, dass das Grundgesetz nach der absehbaren Überwindung der Epidemie mithilfe der Impfungen eine weitere Erhöhung der Schulden verbietet und nun sogar die Tilgung der pandemiebedingten Sonderschulden verlangt.
Auch wollen sie nicht hören, dass es konjunkturpolitisch falsch wäre, nach den Impfungen wieder Gas zu geben, weil sich das im Lockdown aufgestaute Geld der Privaten dann ohnehin in Nachholkäufen entlädt.
Also wird laut über eine Änderung des Grundgesetztes nachgedacht und emsig an Rechtentricks gearbeitet, um doch wieder diejenigen belasten zu dürfen, die sich nicht wehren können.
Gegen die „klügere Schuldenbremse“
Das wohlfeile Argument, das den neuen Coup rechtfertigen soll, liegt in den niedrigen Zinsen. Statt der Relation von Schulden und Sozialprodukt soll in Zukunft nur noch die Relation von Zinslast und Steuereinnehmen begrenzt werden.
Sprich: Nur wenn die Zinsen wieder steigen, werden die Schulden dauerhaft begrenzt. Doch wenn sie bei null bleiben, dürfen sie im Verhältnis zum Sozialprodukt ins Unendliche wachsen. Das sei die „klügere Schuldenbremse“, meint der Chefvolkswirt des Handelsblatts, Bert Rürup.
Wenn es nun in Stein gemeißelt wäre, dass die Zinsen aus irgendwelchen fundamentalen Gründen auf ewige Zeiten bei null blieben, könnte man dem Argument vielleicht noch folgen. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Zum einen zeigt die Geschichte, dass es nach Phasen niedriger Zinsen immer auch wieder solche mit höheren Zinsen gab.
Und zum anderen sind die heutigen Zinsen nicht nur das Ergebnis natürlicher Prozesse. Vielmehr haben die drängelnden Schuldnerstaaten die Zinsen selbst auf null gedrückt, indem sie ihre Notenbanken mit Personal ausstatteten, das einer Politik des leichten Geldes das Wort redete.
Damit wird der Vorschlag vollends zu einer Posse: Erst enteignen staatliche Instanzen die Sparer, indem sie ihnen angemessene Zinsen verweigern, dann nehmen sie die Enteignung zum Anlass, der Bevölkerung weiszumachen, man könne gefahrlos immer mehr Schulden anhäufen, weil ja mit diesen Schulden keine Lasten verbunden seien, und schließlich werden sie die wachsenden Schulden als Argument dafür hernehmen, dass die Sparer auf ewig geschröpft bleiben müssen.
Nachzulesen auf www.handelsblatt.com.