WirtschaftsWoche, 11. September 2015, S. 38.
Vor dem Asylkompromiss Anfang dieser Woche rechnete die Bundesregierung damit, dass im Jahr 2015 netto bis zu 750 000 Asylsuchende nach Deutschland kommen. Geht man vorsichtig geschätzt davon aus, dass außerdem, wie schon 2014, eine Nettoimmigration von etwa 400 000 normalen Immigranten hinzutritt und erneut rund 20 000 Personen abgeschoben werden, bedeutet dies, dass der Wanderungssaldo für Deutschland von 550 000 Personen im vergangenen Jahr auf etwa das Doppelte in diesem Jahr hochschnellt.
Weniger Geldleistungen
Nun hat die Bundesregierung jedoch eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Migrationsströme zu begrenzen. Dazu gehört, unberechtigte Grenzübertritte als Straftat zu behandeln und das Kosovo und Albanien, woher im ersten Halbjahr 2015 immerhin ein Drittel der Asylanten kamen, als sichere Herkunftsländer einzustufen. Zusammen mit beschleunigten Asylverfahren, der Verringerung der Geldleistungen und der Ankündigung, das Dublin-Abkommen gegenüber Ungarn einzuhalten, könnte dies die Immigration auf deutlich unter eine Million Menschen drücken. Aber wie man auch rechnet, es kommen in diesem Jahr sehr viele Menschen, die Bevölkerung wächst dadurch für sich genommen um etwa ein Prozent. Das ist im internationalen Vergleich eine extrem hohe Zahl.
Die Menschen, die kommen, sind jung und arbeitswillig, aber im Durchschnitt nur wenig gebildet. So ist der Anteil der Analphabeten unter ihnen sehr viel höher als unter der in Deutschland ansässigen Bevölkerung. Deutschland wird viel Geld aufwenden müssen, um die Flüchtlinge auszubilden und einzugliedern. Daher ist die Bedeutung, die die Zuwanderer für die deutsche Wirtschaft haben, nicht vergleichbar mit der Rolle der Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg, die dank ihres Könnens damals ganz erheblich zum wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands beitrugen.
Deutschland hat sich in seiner Verfassung verpflichtet, die politisch Verfolgten ungeachtet ihrer Leistungsfähigkeit aufzunehmen. Geschichte und Gesetz sind Verpflichtungen, denen sich unser Land tapfer und verantwortungsbewusst stellt. Aber dazu gehört auch, die Hemmnisse für die Eingliederung der Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt abzubauen. Auch wenn die Produktivität vieler Asylsuchender wegen der Sprachprobleme und der eher schlechten Ausbildung vorläufig noch gering ist, ist sie doch keineswegs null. Sie alle können einen Beitrag zum Sozialprodukt erarbeiten und damit einen Teil der Kosten decken, die ihr Lebensunterhalt verursacht. Das gilt auch für den Löwenanteil jener Asylsuchenden, deren Antrag abgelehnt wird, weil sie aus ökonomischen Gründen kommen. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt würde den Asylbewerbern helfen, wertvolles Wissen zu erwerben, und ihnen zeigen, dass sie willkommen sind. Das Wissen wäre eine Basis für wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Jenen, die wieder abgeschoben werden, würde es den Neuanfang im Heimatland erleichtern.
Auch insofern sind die Beschlüsse der Bundesregierung zu begrüßen. Nach drei Monaten sollen die Asylbewerber für Leiharbeitsfirmen und die Vermittlung durch Job-Center zur Verfügung stehen. Irritierend wäre es jedoch, wenn für die neuen Mitbürger gar keine Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, weil sich der Arbeitsmarkt dafür als nicht flexibel genug erweist. Das würde die Idee von der Willkommenskultur unterhöhlen und gefährliche Friktionen in der Gesellschaft entstehen lassen.
Korrektur nötig
Um die neuen Arbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, wird man den gesetzlichen Mindestlohn senken müssen, denn mehr Beschäftigung für gering Qualifizierte gibt es unter sonst gleichen Bedingungen nur zu niedrigerem Lohn. Nur bei einem niedrigeren Lohn rutschen arbeitsintensive Geschäftsmodelle über die Rentabilitätsschwelle und finden sich Unternehmer, die bereit sind, dafür ihr Geld einzusetzen. Die Koalition drückt sich um diese Konsequenz, weil Deutschland sich derzeit im Boom befindet und deshalb die Bremswirkungen des Mindestlohns nicht spürt. Ohne eine Korrektur beim Mindestlohn wird die Fortsetzung der derzeitigen Massenzuwanderung gering Qualifizierter trotz aller guten Absichten zu einer Immigration in die Arbeitslosigkeit führen.